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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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allem, dass der Bootsmann das Wort ergriff. Das zumindest war eindeutig. Al-Wazir erfüllte ihm den Wunsch. »Soll ich mit dem nächsten Luftschiff zur Mauer aufbrechen?«
    »Wenn das nicht geht, wird es auch später Möglichkeiten geben.«
    Darum ging es ihm also nicht. Verdammt, das war genauso anstrengend wie Gespräche mit den Offizieren. Diesmal entschied er sich für seine eigenen Wünsche, anstatt die Kitchens’ erraten zu wollen. »Wann werde ich denn endlich hier rausgeholt und lerne mal diesen komischen Wissenschaftler kennen? Das alles hier ist doch nur Firlefanz für die Zeitungen. Das haben Sie selbst gesagt. Für mich ist das wie jedes neue Kommando – ich muss mich um die Männer kümmern und um die Ausrüstung. Ich weiß bereits mehr über die Äquatorialmauer und ihre Winde als alle anderen Vögel hier, Sie natürlich ausgenommen.«
    »Leider müssen Sie mich da einrechnen.« Kitchens schien erleichtert zu sein. Seine Haltung veränderte sich leicht. Also hatte al-Wazir die richtige Frage gestellt. »Ich werde Sie gemäß Ihres Wunschs zu den Pionieren überstellen, um die Einsatzbesprechung vorzunehmen.«
    »Das ist doch nur eine von diesen Formalitäten für die parlamentarischen Fragestunden, oder?«
    »Das weiß ich leider nicht, Sir. Halten Sie sich in einer halben Stunde bereit. Wir können Ihnen einen Platz im nächsten Zug nach Maidstone reservieren, wie Sie es gewünscht haben.«
    »Ist dem so?«, fragte al-Wazir. Er ließ sich seinen letzten Räucherhering schmecken. Es schien keinen Sinn zu haben, sich jetzt zu beeilen. Kitchens würde nicht ohne ihn fahren. Seine gesamte Ausrüstung bestand aus einer Segeltuchtasche, die nicht viel größer war als sein persönlicher Seesack. Es handelte sich im Wesentlichen um gebrauchte Sachen, die ihm andere Matrosen in Bristol geschenkt hatten, nachdem er sich von der Dau aus Dahomé ausgeschifft hatte. Damit hatten sie die schlimmste Not gelindert.
    Fünfundzwanzig Minuten später verließ al-Wazir die Admiralität und genoss den kühlen Septembermorgen kurz, bevor er in die wartende Kutsche stieg. Zu seiner Überraschung stieg Kitchens mit ihm ein und zog die Tür hinter sich zu. Der Bootsmann hatte zum ersten Mal seit Tagen wieder richtiges Sonnenlicht gesehen.
    Sie stiegen an der Station Bricklayers’ Arms in den Zug; für al-Wazir sahen allerdings alle Bahnhöfe Londons wie eine riesige Halle aus Ziegelstein und Glas aus. Er hatte sich schon immer nur für Segel und Seile interessiert, zuerst zu Wasser, dann in der Luft. Die Wasserstoffdivision und die Maschinisten hatten ihre eigenen Art, die Dinge anzupacken, und wirkten auf al-Wazir düster und trüb.
    Und nun war er praktisch unter Deck, denn das Innere eines großen Eisenschiffs war hier von innen nach außen gekehrt und bildete die Muskeln und Sehnen des Empire. Dampfmaschinen standen nackt auf Waggons mit Rädern, anstatt sich, wie es sich geziemte, unter Deck zu verstecken, wo eine rußbedeckte Mannschaft für sie sorgen konnte. Der blaue Himmel und die grüne Welt waren hinter Wänden versteckt, die man nach außen gewendet hatte, um die Welt in eine neue Form zu pressen. Anstelle der menschenleeren Meere und grünen Landschaften, die unter und neben einem vorbeizogen, waren hier überall Massen zu sehen; hüpfende und nickende Köpfe, Schultern, die wie bei einem Deckappell aneinandergequetscht wurden; Hautfarben aus allen Teilen des Empire, auch wenn das kräftige Rosa seiner Heimatinsel vorherrschte.
    Er schritt zwei Eisenstufen hinauf in den Eisenbahnwaggon. Kitchens folgte ihm und dirigierte al-Wazir zu einem Privatabteil.
    Bald schon rollten sie durch Elendsviertel, die dreckiger und überfüllter als alles waren, was al-Wazir in karibischen Häfen erlebt hatte, und über ratternde Gleise, wo schmutzige Kinder nach Ziegelsteinen und Metallschrott suchten. »Der Battersea-Knoten«, sagte Kitchens geistesabwesend, als sie an einem endlos scheinenden, verwirrenden Gleisknotenpunkt vorbeifuhren, der chaotischer wirkte als die Algenfelder in der Sargassosee.
    Dann erreichten sie unbebaute Flächen, Dorfwiesen, Eichenalleen und die sanften Hügel Südostenglands, als sie nach Kent hinein fuhren.
    Er stellte schließlich die Frage, über die er schon eine ganze Zeit nachgedacht hatte. »Warum Maidstone?«
    »Wo sonst sollte man Afrika in England finden?«
    Und ein weiteres Mal verdächtigte al-Wazir Kitchens, einen Witz gemacht zu haben.
    Der Bahnhof in Maidstone war viel kleiner als

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