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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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die Ziegelsteinmonstrositäten Londons und fühlte sich für al-Wazir fast schon wieder normal an; wie ein Kai ohne Hafenarbeiter oder einen böse dreinblickenden Hafenmeister, aber dafür mit Freiwächtern und Huren. Kitchens führte ihn schnurstracks an den Gepäckträgern und Schleppern vorbei zu einem Paar Marineinfanteristen in grüner Wollkleidung. Sie öffneten ihnen die Tür eines gepanzerten, dampfbetriebenen Omnibusses.
    Schummriges Licht erwartete sie im Inneren. Düstere Schatten huschten über die Wände, fast wie unter Deck auf einem gepanzerten Dampfschiff.
    »Na, dieses Monstrum ist ganz schön leise und unauffällig«, sagte al-Wazir und stupste Kitchens an. »Es wird bestimmt niemand merken, was sie vorhaben.«
    Kitchens machte ein pikiertes Gesicht. »Ich bin für die Sicherheitsmaßnahmen vor Ort nicht verantwortlich.«
    Einer der Marineinfanteristen drehte sich zu ihnen um und grinste. »Kent is’ nich’ gerade Feindesgebiet. Mit dem Ding hier fahren wir zweimal am Tag die Post holen, damit es in Übung bleibt. Das merkt hier schon niemand mehr.«
    Al-Wazir merkte aber, dass er vom Omnibus aus nichts sehen konnte. Durch die Sehschlitze konnte er nur einige Baumspitzen und einen dünnen Ausschnitt des Himmels erkennen.
    Sie fuhren fast eine Stunde lang, und zwischendurch schlingerte der Wagen, was darauf schließen ließ, dass sie auf Feldwegen fuhren, die zu schmal für das massive, keuchende und kreischende Gefährt waren. Als sie schließlich anhielten, schwitzte trotz des recht kühlen Wetters sogar Kitchens. Die Marineinfanteristen öffneten die Tür und halfen al-Wazir und Kitchens heraus.
    Was immer er auch von der Landschaft in Kent erwartet hatte, das war es nicht.
    Sie standen am Rand eines gigantischen Kraters, der sich fast zwei Kilometer weit vor ihnen erstreckte. Al-Wazir erkannte, dass es sich um einen Steinbruch handelte, und zwar um einen verdammt großen. An einem Ende hatte man tiefer in die Erde gegraben und Erdschichten unterschiedlicher Farben freigelegt. Abraum bedeckte die Ausschachtung, und in dem erst kürzlich ausgehobenen Bereich standen viele Maschinen und Geräte.
    Al-Wazir versuchte zu verstehen, was er hier vor sich sah. Ein Gerüst verdeckte den größten Teil der Wand an diesem Ende des Steinbruchs. Auf dem Boden waren Gleise ausgelegt worden und das in zwei Spurweiten – bei der einen schien es sich um die englische Standardspurweite zu handeln, die andere aber war viel breiter, mit wuchtigen Schwellen. Eine riesige Maschine befand sich auf der breiten Spurweite, direkt an der Felswand. Dahinter begann ein Tunnel, der in den Fels hineingetrieben worden war. Männer wuselten auf der Maschine umher und schienen sie zu reparieren oder anzupassen.
    »Wir nennen sie den Zauberstab«, sagte einer der Marineinfanteristen.
    »Halt deine Klappe«, sagte der andere.
    ›Zauberstab war ein ziemlich fassendes Wort dafür‹, dachte al-Wazir. Die Maschine war gut zwanzig Meter lang, etwa viereinhalb Meter im Durchmesser und verfügte über einen bauchigen Kopf, der mit kurzen, genieteten Stäben überzogen war. Es handelte sich im Endeffekt um einen riesigen Bohrer mit einem rotierenden Kopf, der den Tunnel vor sich ausgrub. Das Ding rammte sich in den Fels und schnitt sich einen Weg durch das Gestein.
    »Ihrer Kaiserlichen Majestät Eisenschwanz wäre wohl die passendere Bezeichnung«, sagte al-Wazir lachend. Er verkniff sich weitere Bemerkungen, als er Kitchens’ Blick bemerkte.
    Sie fuhren in einem käfigähnlichen Fahrkorb hinunter in den Steinbruch, wo sich ein Dorf ausgebreitet hatte: Ausrüstungsbaracken, Schlafsäle und Hütten für Offiziere und Ingenieure, außerdem ein Speisesaal, eine Sporthalle und Dutzende weitere Nebengebäude. Auf dem Weg nach unten hatte al-Wazir einen erstklassigen Blick auf die Dächer.
    Er hasste den Anblick. Das Hauptquartier der Admiralität strahlte wenigstens einen Hauch von Würde aus, ein Spiegelbild der Größe der Nation. Selbst der Bahnhof Bricklayers’ Arms diente einem Zweck, der seine Form bestimmte. Das hier war einfach nur eine weitere Fabrik, eine weitere Mühle, am Boden eines Lochs.
    Er war zu See gegangen, um das zu vermeiden.
    Als sie unten angelangt waren, gab die Tunnelmaschine eine Reihe lauter Dampfpfeifentöne von sich. Kurz danach ließ ein lautes klapperndes, drehendes Geräusch den gesamten Steinbruch erzittern. Al-Wazir, der sie nicht mehr sehen konnte, nahm an, dass sich die Maschine nun in den Tunnel

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