Die Räder des Lebens
es auf der anderen Seite des sie schützenden Felsen still. Sie hatte bisher nicht bemerkt, wie laut der Krach bisher gewesen war. Das Geräusch der nachgebenden Mauer hatte sogar diejenigen Tiere verscheucht, die zu dumm waren, sich von Schüssen einschüchtern zu lassen.
»Hört ihr mir zu?« Sie drehte den Schimmer in ihrer Hand noch ein weiteres Mal. Das Krachen stürzender Felsen war erneut zu hören.
»Wer ist denn da draußen?«, rief jemand.
»Ein Freund.« Paolina hob vorsichtig ihren Kopf.
Ein großer Engländer in roter Uniform kauerte neben einem Baum am Hang. Er hielt ein Gewehr in seinen Händen. Etwa zwanzig oder dreißig Meter dahinter lauerte ein weiterer Kerl zwischen den Felsen. Es mussten mittlerweile noch mehr sein.
»Nicht schießen«, sagte sie sanft. »Lasst uns erst reden.«
»Dann hör mit der Mauer auf, Fräulein.« Der große Mann hielt sein Gewehr griffbereit, aber ohne direkt auf sie zu zielen.
»Habe ich getan.« Sie fragte sich, was sie als Nächstes sagen sollte. »Tretet alle vor, sodass ich euch sehen kann.«
Er grinste. »Ich bitte um Entschuldigung, aber warum sollten wir das tun?«
»Weil ich sonst ein Stück der Mauer auf euch hinunterstürzen lasse. Ihr tretet vor, ich trete vor, zwei von euch helfen meinem verletzten Mann. Dann gehen wir und reden mit den Zauberern in eurem Lager.«
»Zauberer, Fräulein?« Ein weiterer Kerl, den sie im Schatten einer Senke nicht entdeckt hatte, stand auf. »Sie kommen nicht aus der Heimat, oder?«
Es waren insgesamt fünf. Zwei warfen weiterhin nervöse Blicke zur Mauer. Der Rest starrte sie grinsend an.
Paolinas Selbstsicherheit schwand mit jeder weiteren Sekunde dahin. »Ich muss dann eben mit euren Meistern sprechen, falls sie keine Zauberer sind.« Davies hatte ihr nicht gesagt, wie groß und fremdartig diese Männer waren. Sie hatte gedacht, dass sie alle so freundliche Engelsgesichter wie der Junge von der Bassett besäßen.
Die hier wirkten eher wie die fidalgos von Praia Nova, die von sich überzeugt waren, egal, wie sträflich ihre Dummheit auch war.
Etwas hinter ihr machte kratzende Geräusche. Alle sahen in Richtung der Geräusche und brachten ihre Gewehre zum Anschlag. »Schießt nicht auf ihn«, blaffte sie. »Oder ich werde die Mauer einstürzen lassen. Er gehört zu mir.«
»Das ist einer von diesen frechen Messingmenschen.«
»Ja. Und er gehört zu mir. Wir bringen euch Informationen über die Armee, gegen die ihr kämpft.«
»Oh«, sagte der Anführer in seiner roten Uniform. »Du bist eine Kundschafterin, die die Seiten wechseln will.«
Diese Erkenntnis ließ sie alle ein wenig entspannen.
»Ich will einfach nur zurück nach England«, log sie.
Der Rotrock lachte. »Wir verstecken die Königin zwar nicht gerade bei uns, aber wir haben ein Stück Englands mitgebracht.«
»Das muss als Anfang reichen, nicht wahr?« Sie warf einen kurzen Blick über ihre Schulter. »Das ist Boas. Er ist auch ein Freund Englands.«
Boas sagte nichts, sondern entbot nur eine wacklige Verbeugung. Sie würde ihn reparieren müssen, wenn sie das konnte.
»Dann mal los«, sagte der Rotrock. »Ihr anderen steht wieder Wache. Wir bringen sie rein.«
»Die erste richtige Frau, die wir seit zwei Monaten gesehen haben«, schnauzte einer der anderen. Erhob da jemand Widerspruch?
Etwas stimmte nicht. Sie konnte es in ihren Stimmen hören und an ihrer Haltung ablesen. Diese Männer waren nicht betrunken, aber sie hätten es durchaus sein können. Außerdem grinsten sie viel zu sehr. Jetzt, wo sie wussten, dass sie nur eine Frau war, nahmen sie sie nicht mehr ernst. Paolina ließ den Schimmer in ihrer Hand wieder zucken und schlug ihn auf den Fels vor ihr.
Ein großer Brocken brach aus der Mauer, stürzte in einem Kies- und Steinregen auf sie herab und begrub zwei der Engländer unter sich. Einer starb sofort; sein Blut spritzte unter dem Gestein hervor. Ein anderer schrie vor Schmerzen, denn seine Leiste war unter einem Felsen eingeklemmt, der größer war als er selbst.
»Ihr werdet mich jetzt in euer Lager bringen.« Sie hasste es, wie ihre Stimme zitterte. »Oder ich werde auch noch den Rest hinunterstürzen lassen.«
»Hey, hey, hey, kleines Mädchen.« Der Rotrock legte seine Waffen hin, hielt seine Handflächen nach außen und trat ihr einen Schritt entgegen. »Du musst mit dieser Scheiße aufhören. Du hast Augie umgebracht.«
»Ihr wart drauf und dran, euch auf mich zu stürzen. Ich höre damit auf, wenn ihr mich sicher
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