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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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solch banaler Unpäßlichkeit befallen sein konnte. Umständlich nahmen sie alles, auch den in Polen lokalisierten Diebstahl des Symbols zu Protokoll, wünschten jedoch, als unser Herr Matzerath den Protokollführer aufforderte, Augenzeuge seiner Unpäßlichkeit zu sein, nach kurzem Zögern Gute Reise.
Wie gut, daß die Grenzkontrolle lässig verlief. Nicht erst in Braunschweig oder Hannover gar, in Helmstedt wurde zu nächtlicher Stunde die Städtische Krankenanstalt gesucht und
dank Brunos Spürsinn ohne längere Irrfahrt gefunden. Zappelig und weinerlich war dem Patienten zumute, als der Notdienst leistende Arzt seinen Unterleib abtastete und sogleich einen Urologen herbeirief, der mit geschütztem Finger den Notfall auch rektal untersuchte.
Ich weiß das alles aus erster Quelle. Oft genug hat er sein Malheur ausgebreitet. Kaum aus Polen zurück, suchte er mein Ohr: »Für fidel und gesund hielt ich mich. Und nun das. Eine Altmännerkrankheit. Das Gebrechen der Greise. Der Urologe sprach von einer extrem vergrößerten Prostata, Sie verstehen: Vorsteherdrüse. Es müsse eingegriffen, operiert werden, demnächst. Entweder mit einer Schlinge schabend verkleinernd durch die Harnröhre oder nach einem Bauchschnitt radikal.« In Helmstedt wurde unserem Herrn Matzerath nur ein Einmalkatheter gelegt, der ihn freilich enorm erleichterte, so peinlich er den Eingriff empfand.
Genau tausendvierhundertsiebzig Milliliter Harn habe seine Blase gefüllt, nein, überfüllt. Der Urologe »jung aber tüchtig«sei angesichts dieser ablaufenden Menge erstaunt gewesen, doch habe er die Erklärung: »Das waren die Aufregungen in Polen, Herr Doktor, der hundertundsiebte Geburtstag meiner Großmutter, dieses ergreifende Wiedersehen«, nicht gelten lassen. Es handle sich nicht um die durchaus häufige Kirchweihverhaltung, sondern um ein Dauerleiden, weshalb die Prostata demnächst verkleinert werden müsse. »Nicht vor meinem sechzigsten Geburtstag!« rief vorhin noch unser Herr Matzerath. Inzwischen hat man ihn mit einem Dauerkatheter versorgt. Seitdem ist er, abgesehen von jenem häßlich baumelnden Fremdkörper, so gut wie frei von Beschwerden. Dennoch unterließ er es nicht, mehrere Ärzte
-»Kapazitäten!« sagt er aufzusuchen und von jedem Arzt vergeblich den Freispruch zu erwarten. Er gibt mir Ratschläge, rät von Kaffee, Alkohol, insbesondere von Weißwein und kaltem Bier ab, wird aber, sobald ich ihn nach Einzelheiten seiner Polenreise befrage, maulfaul bis zur Einsilbigkeit. Allenfalls höre ich etwa aus Nebensätzen heraus: »Diese Solidarno[-Tragödie will nicht aufhören... Streit bis in die Familie hinein... Immer wieder die Politik... Das ist nichts für die Kaschuben... Ein schlimmes Ende nimmt das... Und fortwährend kommt die Jungfrau Maria ins Spiel... Wahrscheinlich ist mir Polens Geschick auf die Blase geschlagen.« Als ich ihn direkter und familiär befragte, gab er nur knapp Bescheid. Dochdoch, die Großmutter sei wohlauf. Über alle Geschenke, besonders über die Schlümpfe, habe sie sich geradezu kindlich gefreut. Sie erwäge sogar man stelle sich vor eine Reise zu machen. Der sechzigste Geburtstag ihres Enkelkindes, das habe sie gesagt: »Mecht miä schon välocken.« Natürlich sage ich unserem Herrn Matzerath nicht, daß es ihn nicht mehr gibt; soll er doch weiter so tun, als ob er Chef ist. Andere und selbst ich glauben ja auch, daß es weitergeht irgendwie. Deshalb muß er nicht wissen, wie es tatsächlich in der Kaschubei aussieht. Schlimm genug, daß er mit einem Katheter heimgekehrt ist.
Also reden wir über »Grimms Wälder« und über die Falschen Fuffziger, als mit Malskat im Gerüst alle Fälschungen hoch in Kurs standen. Neinnein! Nie darf ihm zu Ohren kommen, daß es ihn, winzig und mumienhaft, einzig als Altarschmuck noch gibt, Ratten zur Andacht dienlich; denn alle Ärzte sagen: Keine Aufregungen! Unser Herr Matzerath muß geschont werden.
    Daß wir musikalisch sind, sollte bekannt sein; falsch jedoch und dummer Aberglaube war jene vor dem Großen Knall weitverbreitete und wie Unkraut nachwachsende Meinung, es sei uns der Flötenton besonders lieb, es gehe von der Queroder Blockflöte auf uns anziehende Kraft aus, es müsse nur jemand mit Fingern geschickt und geschulten Lippen kommen, sein Flötchen bespielen, ihm Triller und flinke Tonläufe entlocken, und schon wären wir bereit, ihm, dem oft berufenen Rattenfänger, zu folgen und wie blind in unser sorgsam vorbereitetes Verderben zu rennen,

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