Die Räuberbraut
ein großer Sprung von Trautes Heim , Glück allein, aber angemessener, wie Charis findet.
Auch Zenia hat sich verändert. Abgesehen davon, daß sie so dünn ist, ist sie krank, und abgesehen davon, daß sie krank ist, wirkt sie irgendwie verängstigt, besiegt, unterworfen. Ihre Schultern sind nach vorne gezogen, als wolle sie sich schützen, ihre Finger sind verkrampft wie Klauen, ihre Mundwinkel hängen nach unten. Charis hätte sie nicht wiedererkannt. Es ist, als wäre die frühere Zenia, die schöne Zenia, die so offen fleischliche Zenia, verbrannt worden, bis nur dieser knochige Kern übrigblieb.
Charis stellt nicht gerne Fragen – sie mischt sich nicht gerne in das Selbst anderer ein –, aber Zenia ist so ohne alle Energie, daß es unwahrscheinlich ist, daß sie von alleine etwas sagt. Und so entscheidet sich Charis für etwas, was möglichst wenig aufdringlich klingt: »Was hat dich in meinen Kurs gebracht?« fragt sie.
»Ich hab von einer Freundin davon gehört«, sagt Zenia. Jedes Wort scheint eine Mühe für sie zu sein. »Ich dachte, es könnte vielleicht helfen.«
»Helfen?« sagt Charis.
»Gegen den Krebs«, sagt Zenia.
»Krebs«, sagt Charis. Es ist keine Frage, denn hat sie es nicht geahnt? Die fahle Haut, das kränkliche Flackern, sind nicht zu verkennen. Ein Ungleichgewicht der Seele.
Zenia lächelt schief. »Ich hab ihn schon einmal besiegt«, sagt sie. »Aber er ist zurückgekommen.«
Jetzt erinnert Charis sich an etwas: war Zenia nicht gegen Ende eines Jahres urplötzlich verschwunden? Des zweiten Jahres, in dem Charis in der McClung Hall lebte, genau: Zenia verschwand ohne Erklärung, löste sich einfach in Luft auf. Die Mädchen sprachen beim Frühstück darüber, und Charis hörte zu, bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sich die Mühe machte, zuzuhören oder zu frühstücken. Es gab dort nicht viel, was sie essen konnte: Kleieflocken waren so ungefähr das einzige. Es ging das Gerücht, Zenia sei mit einem anderen Mann durchgebrannt und hätte Stew einfach sitzenlassen und sogar einen Teil von seinem Geld mitgehen lassen, aber jetzt ahnt Charis die wirkliche Wahrheit: es war der Krebs. Zenia ging fort, ohne jemandem ein Wort zu sagen, weil sie kein Aufsehen wollte. Sie ging fort, um sich selbst zu heilen, und um das zu tun, muß man allein sein, frei von Störungen. Charis kann das verstehen.
»Wie hast du es gemacht, das erste Mal?« sagt Charis.
»Was gemacht?« sagt Zenia, ein wenig scharf.
»Ihn besiegt«, sagt Charis. »Den Krebs.«
»Ich hatte eine Operation«, sagt Zenia. »Sie haben mir – sie haben eine Hysterektomie vorgenommen, ich kann keine Kinder mehr kriegen. Aber es hat nicht geholfen. Also bin ich in die Berge gegangen, allein. Ich hab aufgehört, Fleisch zu essen, ich hab keinen Alkohol mehr getrunken. Ich mußte mich einfach konzentrieren. Darauf, gesund zu werden.«
Das hört sich für Charis genau richtig an. Berge, kein Fleisch. »Und jetzt?« sagt sie.
»Ich dachte, ich wär wieder gesund«, sagt Zenia. Ihre Stimme ist zu einem heiseren Flüstern abgesunken. »Ich dachte, ich wär wieder stark genug. Also bin ich zurückgekommen. Ich hab mit Stew zusammengelebt – mit West. Wahrscheinlich hab ich mich von ihm in unser altes Leben zurückziehen lassen, er trinkt ziemlich viel, weißt du – und der Krebs ist zurückgekommen. Er kann es nicht ertragen – er kann es wirklich nicht! Eine Menge Leute können es nicht ertragen, wenn jemand krank ist, sie haben Angst davor.« Charis nickt: sie weiß das, sie weiß das tief in ihrem Inneren, auf der Ebene ihrer Zellen. »Er will einfach nicht wahrhaben, daß etwas mit mir nicht in Ordnung ist«, fährt Zenia fort. »Er versucht, mich zum Essen zu zwingen – Berge von Essen, Steak und Butter, all diese tierischen Fette. Mir wird schlecht davon, ich kann nicht, ich kann einfach nicht!«
»Oh«, sagt Charis. Es ist eine schreckliche Geschichte, und eine, die nach Wahrheit klingt. So wenige Menschen wissen über tierische Fette Bescheid. Nein, mehr noch: so wenige Leute wissen über egal was Bescheid. »Wie schrecklich«, sagt sie, was nur ein blasser Abklatsch dessen ist, was sie fühlt. Sie ist tief getroffen, sie ist den Tränen nahe; vor allem aber ist sie hilflos.
»Und dann wird er wütend«, fährt Zenia fort. »Er wird wütend auf mich, und ich fühl mich so schwach... er haßt es, wenn ich weine, es macht ihn nur noch wütender. Er hat das hier gemacht.« Sie deutet auf ihr Auge. »Ich schäm
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