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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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mich.«
    »Verpiß dich«, sagt Roz.
     
    Mitch kam ins Haus, wenn Roz nicht da war. Er kam heimlich, weil er ihr nicht gegenübertreten konnte. Er kam und ging, leise wie ein Dieb, und nahm Sachen mit: seine Anzüge aus dem verspiegelten Schlafzimmerschrank, seine Bootsklamotten, seine besten Weine, seine Bilder. Roz kam nach der Arbeit nach Hause und fand diese leeren Stellen; diese schneidenden, vielsagenden Stellen, an denen früher etwas von Mitch gewesen war. Aber er ließ auch Sachen zurück: einen Mantel, seinen Anorak, ein paar Bücher, seine alten Stiefel, Kartons mit diesem oder jenem im Keller. Was bedeutete das? Daß er unschlüssig war? Daß er immer noch einen Fuß in der Tür hatte? Fast wünschte sich Roz, er würde alles auf einmal mitnehmen, reinen Tisch machen. Andererseits: wo Stiefel waren, war auch Hoffnung. Aber Hoffnung war das Schlimmste. Wie sollte sie, solange sie Hoffnung hatte, ihr eigenes Leben führen? Was genau das war, was Frauen in ihrer Situation ständig angeraten wurde.
    Mitch nahm nichts, was nicht ihm gehörte. Er nahm nichts, was Roz für das Haus gekauft hatte, für sie gemeinsam gekauft hatte. Roz war überrascht, wie wenig er mit all diesen Einkäufen zu tun gehabt hatte, bei wie wenigen Entscheidungen er ihr geholfen hatte; oder, anders herum, wie wenig er dazu beigetragen hatte. Aber wie hätte er ihr helfen können? Sie war ihm immer zuvorgekommen; sie hatte ein Bedürfnis oder einen Wunsch erkannt und auf der Stelle für Erfüllung gesorgt, mit einem Wedeln ihres magischen Scheckbuchs. Vielleicht waren sie ihm nach einer Weile auf die Nerven gegangen, ihre Freigiebigkeit, ihre Großzügigkeit, ihre Berge von Perlen, all die Dinge, die sie über alle ausschüttete. Bittet, so wird euch gegeben. Verflixt noch mal, Mitch hatte nicht einmal bitten müssen! Er hatte nur mit offenem Mund auf dem Rasen liegen müssen, und Roz war auf den Baum geklettert und hatte die goldenen Apfel runtergeschüttelt.
    Vielleicht war das Zenias Trick. Vielleicht hatte sie sich als Leere dargestellt, als Hunger, als die leere Schale eines Bettlers. Vielleicht hatte sie eine kniende Haltung eingenommen, die Hände nach Almosen flehend hochgereckt. Vielleicht sehnte sich Mitch nach einer Gelegenheit, selbst ein paar Münzen verteilen zu können, einer Gelegenheit, die Roz ihm nie geboten hatte. Vielleicht hatte er es satt, immer derjenige zu sein, dem gegeben wurde, dem vergeben wurde, der gerettet wurde; vielleicht wollte er endlich einmal selbst ein bißchen geben und ein bißchen retten. Und besser noch als eine schöne Frau auf den Knien war eine dankbare schöne Frau auf den Knien. War Roz nicht dankbar genug gewesen?
    Anscheinend nicht.
    Roz sinkt tief. Sie gibt ihrem nagenden Hunger nach schmutzigen Einzelheiten nach und engagiert eine Privatdetektivin, eine Frau namens Harriet; Harriet, die Ungarin, von der sie gehört hat, vor langer Zeit, von Onkel Joe, der ein paar ungarische Kontakte hatte. »Ich will nur wissen, was sie treiben«, sagt sie zu Harriet.
    »In welcher Hinsicht?« fragt Harriet.
    »Wo sie wohnen, was sie machen«, sagt Roz. »Ob sie wirklich ist.«
    »Wirklich?« sagt Harriet.
    »Wo sie herkommt«, sagt Roz.
    Harriet findet genug heraus. Genug, um Roz noch unglücklicher zu machen, als sie es sowieso schon ist. Zenia und Mitch leben in einem Penthouse mit Blick auf den Hafen, in dem Mitch sein Boot liegen hat. Auf diese Weise können sie schnell mal eine kurze Tour machen, vermutet Roz, obwohl sie sich nicht vorstellen kann, daß Zenia allzu lange bei etwas mitmacht, bei dem man naß werden und sich die Nägel ruinieren könnte. Nicht so lange wie Roz. Was machen sie sonst noch? Sie essen auswärts, sie essen zu Hause. Zenia kauft ein. Was gibt es da zu sehen?
    Die Frage, ob Zenia wirklich ist oder nicht, ist schwieriger zu beantworten. Anscheinend wurde sie nicht geboren, wenigstens nicht unter diesem Namen, aber wie soll man das genau wissen, wo ein so großer Teil von Berlin in Flammen aufgegangen ist? Nachforschungen in Waterloo ergeben nichts. Sie ist dort nicht zur Schule gegangen, wenigstens nicht unter ihrem derzeitigen Namen. Ist sie überhaupt jüdisch? Weiß kein Mensch, sagt Harriet.
    »Aber was ist mit dem Foto?« sagt Roz. »Von ihrer Familie?«
    »Ach, Roz«, sagt Harriet. »Fotos gibt’s wie Sand am Meer. Wer kann denn bezeugen, daß die Leute auf dem Foto wirklich ihre Familie waren?«
    »Sie wußte über meinen Vater Bescheid«, sagt Roz. Sie will

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