Die Räuberbraut
Cordjacke ab. Sie schließt die Tür auf: es ist eine der ballerinazöpfigen Frauen.
»Entschuldigung«, sagt Tony. Die Frau starrt sie kalt an.
Tony kehrt ins große Zimmer zurück, um zu gehen. Ohne West hat das alles sowieso keinen Zweck. Aber da, mitten im Zimmer, steht Zenia.
Tony kennt Zenias Namen noch nicht, aber Zenia scheint keinen Namen zu brauchen. Anders als die meisten anderen trägt sie kein Schwarz, sondern Weiß, eine Art Hirtenkittel, der über den langen Beinen ihrer engen Jeans bis etwa zur Hälfte ihrer Oberschenkel fällt. Der Kittel ist nicht dünn, läßt einen aber trotzdem an Unterwäsche denken, vielleicht weil die Knöpfe etwa bis zur Höhe der Brustwarzen offen sind. In dem auf diese Weise gebildeten V-Ausschnitt wölben sich zwei feste Halbbrüste zur Seite weg, wie Rücken an Rücken gesetzte Klammern.
Die anderen in ihren schwarzen Klamotten versinken im schwarzen Hintergrund der Wände. Zenia hebt sich ab: ihr Gesicht und ihre Hände und ihr Oberkörper schwimmen vor der Dunkelheit, zwischen den weißen Chrysanthemen, als wären sie losgelöst, als hätte sie keine Beine. Sie muß sich das alles im voraus genau überlegt haben, wird Tony klar – wie sie in der Dunkelheit leuchten würde wie eine die ganze Nacht geöffnete Tankstelle, oder – um ehrlich zu sein – wie der Mond.
Tony spürt, wie sie zurückgesaugt wird, wie sie in das schwarze Emaille der Wände hineingezogen wird. Wirklich schöne Menschen haben diese Wirkung, denkt sie: sie löschen einen aus. In Zenias Gegenwart kommt sie sich nicht nur klein und absurd vor: sie kommt sich inexistent vor.
Sie flüchtet sich in die Küche. Auch sie ist schwarz, sogar der Herd, sogar der Kühlschrank. Die Farbe glänzt feucht im Kerzenlicht.
West lehnt am Kühlschrank. Er ist ziemlich betrunken. Tony sieht es auf den ersten Blick, sie hatte genug Übung mit so etwas. Irgend etwas in ihrem Inneren dreht sich, dreht sich und versinkt.
»Hi, Tony«, sagt er. »Na? Wie geht’s meinem kleinen Kumpel?«
West hat Tony noch nie als seinen kleinen Kumpel bezeichnet. Er hat sie noch nie klein genannt. Es ist wie eine Entweihung.
»Ich muß gehen«, sagt sie.
»Nacht’s doch noch jung«, sagt er. »Trink’n Bier.« Er öffnet den schwarzen Kühlschrank, der innen noch weiß ist, und fischt zwei Flaschen Molson’s Export heraus. »Wo hab ich das Scheiß-Ding gelassen?« fragt er, während er seinen Körper abklopft.
Tony hat keine Ahnung, wovon er spricht, oder was er tut, oder auch nur, wer er ist. Nicht der, für den sie ihn gehalten hat, soviel ist sicher. Normalerweise flucht er nicht. Sie weicht einen Schritt zurück.
»In deiner Tasche«, sagt eine Stimme hinter ihr. Tony sieht sich um: es ist das Mädchen im weißen Kittel. Sie lächelt West an, zielt mit dem Zeigefinger auf ihn. »Hände hoch.«
Grinsend hebt West die Hände hoch in die Luft. Das Mädchen kniet sich vor ihn, greift mit den Händen in seine Taschen, den Kopf an seinen Oberschenkel gelehnt, und bringt nach einem sehr langen Augenblick – in dem Tony sich fühlt, als würde sie gezwungen, durch ein Schlüsselloch eine Szene zu beobachten, die viel zu intim ist, als daß sie sie ertragen könnte – einen Flaschenöffner zum Vorschein. Sie öffnet beide Flaschen, schnipst die Kronenkorken gekonnt ab, reicht Tony eine, hält die andere schräg und trinkt. Tony beobachtet, wie ihre Kehle beim Schlucken zuckt. Sie hat einen langen Hals.
»Und was ist mit mir?« sagt West, und das Mädchen reicht ihm die Flasche.
»Wie gefallen dir unsere Blumen?« sagt sie zu Tony. »Wir haben sie auf dem Mount-Hope-Friedhof geklaut. Irgend so ein Bonze war gerade abgekratzt. Leider sind sie schon ein bißchen verwelkt: wir mußten warten, bis alle anderen sich verpißt hatten.« Tony registriert die Ausdrücke -geklaut, abgekratzt, verpißt- und kommt sich zaghaft und völlig stillos vor.
»Das ist Zenia«, sagt West. In seiner Stimme liegt besitzerische Bewunderung, und eine Heiserkeit, die Tony überhaupt nicht gefällt. Mein, das ist es, was seine Stimme ausdrückt. Alles mein.
Tony weiß jetzt, daß sie sich in bezug auf das wir geirrt hat. Wir hatte nichts mit männlichen Zimmergenossen zu tun. Wir bedeutete Zenia. Zenia lehnt sich jetzt mit dem Rücken an West wie an einen Laternenmast. Er legt die Arme um ihre Taille, unter ihrem Kittel; sein Gesicht ist halb in ihren rauchigen Haaren verborgen.
»Sie sind toll«, sagt Tony und versucht, enthusiastisch zu
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