Die Räuberbraut
klingen. Sie nimmt einen ungeschickten Schluck aus der Flasche, die Zenia ihr gegeben hat, verschluckt sich halb und bemüht sich verzweifelt, nicht alles wieder rauszuhusten. Ihre Augen brennen, ihr Gesicht rötet sich, ihre Nase prickelt.
»Und das ist Tony«, sagt Wests Stimme. Sein Mund ist in Zenias Haaren vergraben, so daß es aussieht, als würden ihre Haare sprechen. Tony würde am liebsten weglaufen: durch die Küchentür, zwischen den jeansbekleideten Beinen im großen Zimmer hindurch, die Treppe hinunter. Eine in Panik fliehende Maus.
»Ach, das ist Tony«, sagt Zenia. Sie klingt amüsiert. »Hallo Tony. Gefallen dir unsere schwarzen Wände? Nimm bitte deine kalten Hände von meinem Bauch«, fügt sie, an West gewandt, hinzu.
»Kalte Hände, warmes Herz«, murmelt West.
»Herz«, sagt Zenia. »Wen interessiert schon dein Herz? Es ist nicht dein nützlichster Körperteil.« Sie hebt den Saum ihres Kittels, findet seine beiden großen Hände, zieht sie hervor, hält sie in ihren Händen, streichelt sie, und lächelt Tony die ganze Zeit über an. »Es ist ein Racheakt«, sagt sie. Ihre Augen sind nicht schwarz, wie Tony zuerst dachte: sie sind marineblau. »Das hier ist eine Racheparty. Der Vermieter schmeißt uns raus, und da haben wir uns gedacht, wir hinterlassen dem alten Arschloch ein kleines Andenken, damit er uns in guter Erinnerung behält. Er wird mehr als zwei Anstriche brauchen, um das hier wegzukriegen. Im Mietvertrag steht, daß wir die Wohnung streichen dürfen, aber welche Farbe, steht nicht drin. Hast du das Klo gesehen?«
»Ja«, sagt Tony. »Es ist sehr schlüpfrig.« Es sollte keine witzige Bemerkung sein, aber Zenia lacht.
»Du hast recht«, sagt sie zu West. »Tony ist wirklich zum Schreien.«
Tony haßt es, wenn in der dritten Person von ihr gesprochen wird. Sie hat es immer gehaßt; ihre Mutter hat das auch oft gemacht. West hat also mit Zenia über sie gesprochen, die beiden haben sie hinter ihrem Rücken analysiert, haben ihr Adjektive aufgeklebt, als wäre sie ein Kind, als wäre sie ein Niemand, als wäre sie ein Thema. Außerdem kommt ihr der Gedanke, daß West sie nur deshalb zu dieser Party eingeladen hat, weil Zenia es so wollte. Sie stellt die Bierflasche auf den schwarzen Herd und sieht, daß sie halb leer ist. Sie muß die andere Hälfte getrunken haben. Wie hat sie das nur gemacht? »Ich muß jetzt wirklich gehen«, sagt sie, würdevoll, wie sie hofft.
Zenia scheint sie nicht gehört zu haben. West ebenfalls nicht. Er linst jetzt aus dem Wust von Zenias Haaren hervor; Tony kann seine Augen im Licht der Kerzen glänzen sehen.
Tonys Arme und Beine lösen sich vom Rest ihres Körpers, alle Geräusche werden langsamer. Es ist das Bier, sie trinkt normalerweise keins, sie ist nicht daran gewöhnt. Ein Sehnen erfüllt sie. Sie wäre froh, sie hätte auch jemand, der sein Gesicht so in ihren Haaren vergraben würde. Sie wäre froh, wenn West es wäre. Aber sie hat nicht genug Haare dafür. Er würde nur auf Kopfhaut stoßen.
Sie hat etwas verloren. Sie hat West verloren. Nerolrev. Remmi rüf Ein dummer Gedanke: wie kann man jemanden verlieren, den man nie gehabt hat?
»Also, Tony«, sagt Zenia. Sie sagt Tony , als wäre es ein Wort aus einer fremden Sprache, als stünde es in Anführungszeichen. »West sagt, daß du brillant bist. Was hast du vor?«
Tony denkt, daß Zenia wissen will, wo sie von hier aus hingeht. Sie könnte so tun, als gäbe es eine andere Party, eine bessere, zu der Zenia nicht eingeladen wurde. Aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß man ihr glauben würde. »Wahrscheinlich fahr ich mit der U-Bahn nach Hause«, sagt sie. »Ich muß noch arbeiten.«
»Sie arbeitet immer«, sagt West.
»Nein«, sagt Zenia, ein bißchen ungeduldig. »Ich mein, was du mit deinem Leben vorhast? Was ist deine Obsession?«
Obsession. Tony kennt niemanden, der so redet. Nur Kriminelle und Spinner haben Obsessionen, und falls man selbst eine hat, behält man das besser für sich. Ich muß diese Frage nicht beantworten , sagt sie sich selbst. Sie denkt an die Mädchen im Gemeinschaftszimmer, und was sie von Obsessionen halten würden; oder von Zenia, wo sie schon einmal dabei ist. Sie würden sie für überspannt halten, und für eine Schlampe, mit ihren offenstehenden Knöpfen. Sie würden ihre schlampigen Haare mißbilligen. Normalerweise findet Tony ihre Urteile über andere Frauen gehässig und oberflächlich, aber im Augenblick findet sie sie tröstlich.
Sie
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