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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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sollte ein gelangweiltes, herablassendes Lächeln aufsetzen. Sie sollte »Wie bitte?« sagen und lachen und verwirrt tun, als sei das eine dumme Frage. Sie weiß, wie man so etwas macht, sie hat zugesehen und zugehört.
    Aber es ist keine dumme Frage, und sie kennt die Antwort. »Geirk«, sagt sie.
    »Was?« sagt Zenia. Sie ist jetzt ganz auf Tony konzentriert, als sei sie endlich interessant geworden. Als sei sie zu etwas geworden, bei dem es sich lohnt, es genauer unter die Lupe zu nehmen. »Was hast du gesagt? Geier?«
    Tony merkt, daß sie einen Fehler gemacht hat, daß sie sich versprochen hat. Sie hat das Wort umgedreht. Es muß der Alkohol sein.
    »Ich hab Krieg gesagt«, sagt sie, dieses Mal sorgfältig auf ihre Aussprache achtend. »Das ist es, was ich mit meinem Leben vorhabe. Ich will Kriege studieren.« Das hätte sie nicht sagen dürfen, sie hätte nicht so viel über sich selbst verraten dürfen, sie hat es falsch ausgedrückt. Sie hat sich lächerlich gemacht.
    Zenia lacht, aber es ist kein spöttisches Lachen. Es ist ein entzücktes Lachen. Sie berührt Tonys Arm, ganz leicht, so als würde man von einem Spinnennetz gestreift. »Trinken wir einen Kaffee«, sagt sie. Und Tony lächelt.

20
    Das war er, der entscheidende Augenblick. Der Rubikon! Die Würfel waren gefallen, aber wer hätte das damals geahnt? Tony nicht, obwohl sie sich an ein Gefühl erinnert, das Gefühl, den Boden unter den Füßen verloren zu haben, von einer starken Strömung mitgerissen zu werden. Und was genau hatte als eigentliche Einladung gedient? Was hatte Zenia angelockt, ihr den Riß in Tonys käferartigem kleinen Panzer gezeigt? Was war das magische Wort gewesen, Geier oder Krieg? Wahrscheinlich beide zusammen, die Duplizität. Genau das mußte einen großen Reiz auf Zenia ausüben.
    Aber vielleicht sind das alles nur Übersteigerungen, intellektuelle Phantastereien, für die Tony, wie sie weiß, anfällig ist. Bestimmt war es etwas viel Einfacheres, viel Offensichtlicheres: Tonys Verwirrung, ihre Schutzlosigkeit unter den gegebenen Umständen, wobei die Umstände West waren; West und die Tatsache, daß Tony ihn liebte. Zenia mußte das gespürt haben, bevor Tony selbst es wußte, sie mußte gewußt haben, daß Tony in der Abteilung West keine Gefahr darstellte, mußte auch gewußt haben, daß Tony sich geradezu anbot, gerupft zu werden.
    Aber was war mit Tony selbst? Was bot Zenia ihr an, oder was schien sie ihr anzubieten, als sie in der schwarzen Küche stand und lächelte, die Hand ganz leicht auf Tonys Arm gelegt, und im Kerzenlicht schimmerte wie eine Fata Morgana?
    Die Natur verabscheut das Vakuum, denkt Tony. Wie ungünstig. Sonst könnten wir Vakuen unser Leben in relativer Sicherheit leben.
    Nicht, daß Tony jetzt noch ein Vakuum wäre. Ganz und gar nicht. Jetzt ist sie ausgefüllt, jetzt schwelgt sie im Überfluß, jetzt hütet sie ein Schloß voller Kostbarkeiten, jetzt ist sie beteiligt. Jetzt muß sie die Zügel in die Hand nehmen.
    Tony wandert im Keller auf und ab – ihr Kugelschreiber und ihr Notizbuch liegen vergessen auf der Tischtennisplatte – und denkt an West, der oben schläft, die Luft in sich ein- und wieder ausatmet. West, der sich stöhnend auf die andere Seite dreht, verlorene Seufzer von sich gibt, Seufzer, die sich anhören, als würde ihm das Herz brechen. Sie hört die Schreie der Sterbenden, die Jubelrufe der Sarazenen an der kargen Küste, das Summen des Kühlschranks in der Ecke, das Scheppern der Heizung, die anspringt und wieder abschaltet, und Zenias Stimme.
    Eine schleppende Stimme, mit einem leichten Zögern, einem leicht ausländischen Einschlag, der Andeutung eines Lispelns; leise, weich, aber mit einer harten Oberfläche. Eine glasierte Praline mit einem weichen, buttrigen, trügerischen Innenleben. Süß, und schlecht für einen.
     
    »Was wär für dich ein Grund, dich umzubringen?« sagt Zenia.
    »Mich umzubringen?« fragt Tony verwundert zurück, als wäre ihr dieser Gedanke völlig fremd. »Ich weiß nicht. Ich glaub nicht, daß ich das tun würde.«
    »Und was wär, wenn du Krebs hättest?« sagt Zenia. »Wenn du wüßtest, daß du langsam sterben würdest, unter unerträglichen Schmerzen? Oder wenn du wüßtest, wo der Mikrofilm ist, und die andere Seite wüßte, daß du es weißt, und sie werden dich foltern, um es aus dir rauszubekommen, und dich dann trotzdem umbringen? Was wär, wenn du eine Zyanidfüllung im Zahn hättest? Würdest du sie benutzen?«
    Zenia liebt

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