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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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gewöhnlich den Schaum von ihrem Bier, als West etwas Überraschendes sagte. Er sagte, er würde eine Party geben.
    Das heißt, eigentlich sagte er »wir«. Und er sagte auch nicht »Party«, er sagte »Bash«.
    »Bash« war ein seltsames Wort, aus Wests Mund. Tony hielt West nicht für gewalttätig, und »Bash« war ein brutales Wort, ein Ausdruck des Zuschlagens. Er klang, als zitiere er jemanden.
    »Bash?« wiederholte Tony unsicher. »Ich weiß nicht.« Sie hatte die Mädchen im Wohnheim von Bashes reden hören. Sie fanden für gewöhnlich in den Studentenverbindungen statt und endeten häufig damit, daß irgend jemand sich übergeben mußte – meistens ein Mann, aber manchmal auch ein Mädchen, entweder gleich an Ort und Stelle oder später, in einem der Waschräume der McClung Hall.
    »Ich finde, du solltest kommen«, sagte West und sah sie mit seinen blauen Augen wohlwollend an. »Ich finde, du siehst blaß aus.«
    »So seh ich immer aus«, sagte Tony abwehrend. Sie war verblüfft über Wests plötzliche Sorge um ihre Gesundheit. Sie kam ihr zu höflich vor, obwohl er, im Widerspruch zu seiner ungepflegten und düsteren Kleidung, immer die Türen für sie aufhielt. Sie war nicht an eine derartige Besorgnis gewöhnt, weder von ihm noch von sonstwem, und sie fand sie alarmierend, als hätte er sie berührt.
    »Jedenfalls«, sagte West, »finde ich, daß du mehr rauskommen solltest.«
    »Raus?« sagte Tony. Sie war durcheinander: was meinte er mit raus ?
    »Du weißt schon«, sagte West. »Leute kennenlernen.«
    Die Art, wie er das sagte, hatte etwas fast Hinterhältiges, so als verberge er etwas, eine finstere Absicht. Versuchte er vielleicht, sie mit einem Mann zu verkuppeln, aus irregeleiteter Besorgnis, so wie Roz es manchmal tat? Toinette! Da ist jemand, mit dem ich dich gerne bekannt machen möchte! sagte Roz beispielsweise, und Tony wich aus und machte, daß sie davonkam.
    Jetzt sagte sie: »Aber ich würde doch niemanden kennen.«
    »Du würdest mich kennen«, sagte West. »Und du könntest die anderen kennenlernen.«
    Tony sagte nicht, daß sie keine anderen Leute kennenlernen wollte. Es hätte zu merkwürdig geklungen. Also ließ sie sich die Adresse aufschreiben, auf einen Papierschnipsel, den West aus seinem Der Aufstieg der Renaissance herausriß. Er sagte nicht, daß er sie abholen würde, also war es zumindest keine richtige Verabredung. Tony hätte nicht gewußt, wie sie mit einer richtigen Verabredung umgehen sollte, egal mit wem, erst recht nicht mit West. Sie hätte nicht mit den Begleiterscheinungen umgehen können, oder der Hoffnung. Hoffnung dieser Art hätte sie aus dem Gleichgewicht bringen können. Sie wollte sich auf nichts einlassen, auf niemanden, zweimal unterstrichen, Punkt.
     
    Der Bash findet im zweiten Stock statt, im zweiten Stock eines schmalen, asphaltgesäumten Gebäudes, das mitten im alten Teil der Innenstadt in einer Reihe von Second-Hand- und Army-Surplus- Geschäften liegt und auf die Eisenbahngleise hinausgeht. Die Treppe ist steil; Tony nimmt eine Stufe nach der anderen und zieht sich dabei am Geländer hoch. Oben steht eine Tür offen; Rauch und Lärm dringen heraus. Tony überlegt, ob sie klopfen soll, entscheidet sich aber dagegen, weil sowieso niemand sie hören würde, und geht hinein.
    Auf der Stelle wünscht sie sich, sie hätte es nicht getan, denn das Zimmer ist randvoll mit Leuten, und zwar der Sorte von Leuten, die sie, en masse, am ehesten ängstigen oder zumindest einschüchtern. Die Frauen haben größtenteils glatte, lange Haare, die sie hinten zu einem Ballerina-Zopf zusammengebunden oder zu einem strengen Knoten geschlungen haben. Sie tragen schwarze Strümpfe und schwarze Röcke und schwarze Oberteile und keinen Lippenstift; ihre Augen sind dick umrandet. Einige der Männer haben Bärte. Sie sind ähnlich gekleidet wie West – Arbeiterhemden, Rollkragenpullover, Jeansjacken –, aber seine Freundlichkeit, seine Sanftheit, seine Haarlosigkeit gehen ihnen ab. Sie wirken kompakt, verfilzt, schwer vor überladener Materie. Sie dräuen riesig über ihr, sie knistern vor statischer Energie.
    Die Männer unterhalten sich größtenteils miteinander. Die Frauen unterhalten sich überhaupt nicht. Sie lehnen an der Wand, oder haben die Arme gekreuzt, eine Zigarette lässig in der einen Hand, schnipsen die Asche auf den Boden und sehen aus, als langweilten sie sich zu Tode und warteten nur auf den passenden Augenblick, um zu einer anderen, einer besseren Party

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