Die Räuberbraut
Oder Tony wäre woanders, bei ihr, wo immer sie auch war.
Anthea schrieb natürlich. Sie schickte eine Ansichtskarte mit Palmen und Brandung und sagte, sie wünschte, Tony wär da. Sie schickte Päckchen für Tony, mit Sachen, die nie paßten: Strandanzüge, Shorts, Sommerkleider, zu groß, oder – nach einer Weile – zu klein. Sie schickte Geburtstagskarten, die zu spät ankamen. Sie schickte Fotos, die immer, wie es schien, bei strahlendem Sonnenschein aufgenommen waren; Fotos von sich selbst, in Weiß, auf denen sie dicker aussah, als Tony sie in Erinnerung hatte, das Gesicht gebräunt und glänzend, wie frisch geölt, mit einem kleinen, schattigen Schnurrbart, der von ihrer Nase geworfen wurde. Auf einigen dieser Fotos stand der durchgebrannte, schuldige Perry neben ihr, den Arm um ihre Taille gelegt: ein Mann mit einem schlaffen, dicklichen Körper und faltigen Knien und Tränensäcken unter den Augen und einem schiefen, reumütigen Lächeln. Nach einer Weile war Perry nicht mehr auf den Fotos, dafür ein anderer Mann; und nach noch einer Weile wieder ein anderer. Die Schultern an den Kleidern von Tonys Mutter wurden schmaler, die Röcke länger und voller, die Halsausschnitte fließender; Rüschen wie bei einer Flamenco-Tänzerin erschienen an den Ärmeln. Es war die Rede davon, daß Tony zu Besuch kommen sollte, in den Osterferien, in den Sommerferien, aber es wurde nie etwas daraus.
[Was Antheas andere Kleider anging, die, die sie in ihrem Schrank zurückgelassen hatte, so ließ Tonys Vater sie eines Tages von Ethel in Kartons packen und zur Heilsarmee bringen. Er sagte Tony nichts davon. Tony hatte die Angewohnheit, alle paar Tage in den Schrank zu sehen, wenn sie aus der Schule kam, und eines Tages war er leer. Tony sagte nichts, aber sie wußte Bescheid. Anthea würde nicht zurückkommen.)
In der Zwischenzeit wurden die Jahre zu weiteren Jahren. In der Schule stellte man Tonys Kurzsichtigkeit fest, und sie bekam eine Brille, was sie nicht sonderlich störte. Die Brille war eine Art Barriere, und außerdem konnte sie jetzt die Tafel erkennen. Abends gab es Aufläufe, die Ethel vorbereitete und auf die Anrichte stellte, damit Tony sie aufwärmen konnte. Ihre Schulbrote machte sie selbst zurecht, wie immer; außerdem machte sie Karamellpuddings aus Tüten und Kuchen aus backfertigen Mischungen, die ihren Vater beeindrucken sollten, aber das taten sie nicht.
Zu Weihnachten gab ihr Vater ihr Zwanzigdollarscheine und sagte, sie solle sich selbst ein Geschenk kaufen. Sie machte Tee für ihn, den er genausowenig trank, wie ihre Mutter es getan hatte. Er war häufig nicht da. In einem dieser Jahre hatte er eine Freundin, eine Sekretärin aus seiner Firma, die klirrende Armbänder trug und nach Veilchen und warmem Gummi roch und ein riesiges Theater um Tony machte und sagte, sie sei zum Anbeißen niedlich, und die mit ihr einkaufen oder ins Kino gehen wollte. Nur wir Mädchen, sagte sie dazu. Den großen alten Griff lassen wir zu Hause. Ich will, daß wir richtige Freundinnen werden. Tony verachtete sie.
Nachdem es mit der Freundin aus war, trank Griff mehr denn je. Er fing an, in Tonys Zimmer zu kommen und sich hinzusetzen und ihr dabei zuzusehen, wie sie ihre Hausaufgaben machte, so als warte er darauf, daß sie etwas zu ihm sagte. Aber inzwischen war sie älter und härter geworden und erwartete nicht mehr viel von ihm. Sie hatte aufgehört, sich für ihn verantwortlich zu fühlen; er war einfach nur noch eine lästige Störung. Er war bedeutend weniger interessant als die Belagerungstechniken Julius Cäsars, die sie gerade in Latein durchnahmen. Das Leid ihres Vaters zermürbte sie: es war zu ausdruckslos, es war zu wortlos, es war zu machtlos, es war zu sehr wie ihr eigenes.
Ein- oder zweimal, als er betrunkener war als üblich, verfolgte er sie quer durchs Haus, stolpernd und tobend und Möbel umwerfend. Zu anderen Zeiten wurde er plötzlich liebevoll: er wollte ihr durch die Haare fahren und sie in die Arme nehmen, als wäre sie noch ein Kind, obwohl er das nie getan hatte, als sie tatsächlich eins war. Sie kroch unter den Eßzimmertisch, um ihm zu entgehen: sie war bedeutend kleiner als er, aber sie war auch bedeutend beweglicher. Das Schlimmste an diesen Episoden war, daß er sich am nächsten Tag anscheinend an nichts erinnern konnte.
Tony fing an, ihm wann immer möglich aus dem Weg zu gehen. An den Abenden überwachte sie seinen Alkoholpegel – sie konnte ihn zum Teil an seinem Geruch
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