Die Raffkes
zahlte Mann und sagte: »Vielleicht komme ich mal wieder vorbei.«
»Ja«, nickte sie mit leichter Bitterkeit, weil sie wohl endlose Erfahrungen mit solchen Versprechen gemacht hatte.
Mann stand auf der dunklen Straße und war sehr aufgeregt.
Es war 1.03 Uhr, als er von Moabit aus in Richtung des äußersten Ostens der Stadt startete. Unterwegs überlegte er, ob er sicherheitshalber Blum Bescheid geben sollte, dass er die neue Adresse von Benny herausgefunden hatte. Aber er nahm Abstand von dem Gedanken. Er würde erst einmal das Gelände sondieren, gucken, ob er jemanden fand, der etwas zu sagen hatte. Es würde immer noch genug Zeit bleiben, Blum zu alarmieren.
Es war ein wenig kompliziert, die richtige Ausfahrt zu finden. Links von ihm befanden sich jetzt riesenhafte Plattenbauten. Zweimal fuhr er falsch ab und endete vor Gebäuden mit zu hohen oder zu niedrigen Hausnummern. Die Umgebung wirkte trostlos und betongegossen. Zwischen den Steinen auf den Wegen, die zu den Häusern führten, waren Sträucher und hohes Gras gewachsen, einmal musste Mann sechs große Müllcontainer umkurven, die jemand umgeworfen hatte. Zwei Hochhäuser waren eindeutig unbewohnt, die Zentraleingänge mit schweren Ketten und Vorhängeschlössern versehen, nahezu alle Fenster eingeworfen, zertrümmert. Mann dachte mit einem Seufzer: Hier würde ich schnell kaputtgehen. Nein, vorher würde ich abhauen.
In den bewohnten Komplexen waren hier und da Lichter hinter den Fenstern zu erkennen, gelbes schwaches Licht. Die Nummer 56 war ein Bau der uralten Art, nichts war hergerichtet, nichts restauriert. Mann fand die Messingplatte mit den vielen Klingelknöpfen und er erinnerte sich, gelesen zu haben, dass die Wohnungen gern von Firmen benutzt wurden, um darin billig Arbeiter unterzubringen. Entsprechend las er viele Namen von Firmen, aber auf den gestanzten Plastikstreifen war nicht ein Personenname verzeichnet. Und auch von einer Frau namens Trudi Sahm keine Spur.
Über den Klingeln war mit Klebestreifen eine weiße Pappe angebracht. Hausmeister in der 58!!! stand da. Mann entschloss sich, den Kerl aus dem Bett zu holen.
Inzwischen war es zwei Uhr.
Neben einem überfüllten Müllcontainer, dessen Deckel hoch wie ein scharfer Scherenschnitt in die Luft ragte, standen drei Männer. Sie verhielten sich still, hielten die Köpfe gesenkt und linsten zu Mann herüber, als der langsam an ihnen vorbeiging.
Mann blieb jäh stehen, schwenkte um neunzig Grad und ging auf die drei zu. Wider jede Vernunft.
»Guten Morgen«, sagte er aufgeräumt. »Haben Sie eine Ahnung, wo ich Trudi Sahm finden kann?«
»Welches Namen?«, fragte der Jüngste von ihnen in hartem Deutsch. Er war vielleicht zwanzig Jahre alt.
»Trudi Sahm«, wiederholte Mann leichthin. »Sie wohnt in der Sechsundfünfzig.«
»Nix wissen«, sagte der Zweite. »Wir fremd hier.«
»Na dann«, sagte Mann, nickte ihnen freundlich zu und ging weiter.
Der Hausmeister hieß Krause und wohnte im Parterre. Nachdem Mann geschellt hatte, dauerte es eine Weile, bis jemand verschlafen oder betrunken »Ja? Was ist denn?« brüllte.
»Staatsanwaltschaft«, sagte Mann.
»Scheiße«, murrte die Stimme. Ein Summer ertönte, Mann trat ein.
Der Hausmeister namens Krause stand nur mit Boxershorts bekleidet in der offenen Tür. »Was ist denn nun schon wieder?«, fragte er gelangweilt. Aus den Räumen hinter ihm schallte Gelächter und Musik. »Kann man nicht mal in Ruhe Geburtstag feiern?«
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Mann. »Ich suche Trudi Sahm. Sagen Sie nicht, dass Sie sie nicht kennen. Ich weiß, dass sie in der Sechsundfünfzig wohnt. Also, ziehen Sie sich was an, nehmen Sie Ihren Schlüsselbund und kommen Sie mit!«
Krause ließ die Tür hinter sich weit aufschwingen, die Musik und das Gelächter wurden lauter. »Sind nur Freunde«, lallte er. »Wir feiern. In der Sechsundfünfzig wohnt keine Trudi … Trudi wie?«
»Trudi Sahm«, wiederholte Mann geduldig. Er nahm das Foto aus der Tasche und hielt es dem Mann vor das Gesicht. »Das ist sie.«
Krause war etwa dreißig Jahre alt und wahrscheinlich war Hausmeister ein fantastischer Job für ihn; er hatte ein Einkommen, keine festen Arbeitszeiten, viele Bekannte und niemand störte es, wenn er alles um sich herum verrotten ließ.
»Das ist nicht Trudi … So heißt sie nicht. Das ist Tamara. Und außerdem ist das Foto Scheiße, sie sieht ganz anders aus, weil sie andere Haare hat.«
»Dann eben Tamara«, lächelte Mann immer noch freundlich. »Bringen Sie
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