Die Ranch
das ihr Kind betreute. Oder jemand versuchte, Tanya vor einer Gefahr zu warnen. Einen roten Kaschmirschal in der Hand, lief sie zum Apparat und meldete sich atemlos. »Hallo?«
»Mr s.Walker?«
Zunächst erkannte sie die Männerstimme nicht. »Ja. Wer spricht da?«
»Mary Stuart? Dieses erste Wort aus deinem Mund klang so fremd.« Bill. So weit hatten sie sich voneinander entfernt, dass sie nicht einmal mehr ihre Stimmen kannten.
»Gerade wollte ich zum Dinner gehen.«
»Tut mir Leid, wenn ich störe«, bemerkte er trocken.
In London war es drei Uhr morgens. Was mochte ihn veranlassen, um diese Zeit anzurufen? »Alles okay mit Alyssa?« Sekundenlang drohte ihr Herzschlag auszusetzen.
»Ja. Gestern habe ich mit ihr gesprochen. Sie war gerade von Salzburg nach Wien gefahren, und dort will sie einen Ball besuchen. Offenbar kutschiert sie mit ihren Freunden durch ganz Europa. In diesem Sommer werden wir sie wohl kaum sehen.«
»Wenn du wieder mit ihr telefonierst, sag ihr, ich liebe sie. Leider hat sie mich nicht angerufen. Das ist wahrscheinlich wegen des Zeitunterschieds zu schwierig. Übrigens, warum bist du so spät noch auf?« Wie Geschäftsfreunde tauschten sie Neuigkeiten aus. Nichts Persönliches.
»Ich habe ziemlich lange gearbeitet. Und heute Nachmittag war ich so dumm, Kaffee zu trinken. Deshalb kann ich nicht schlafen, und ich dachte, ich könnte dich mal anrufen. Um den Zeitunterschied kümmere ich mich nicht.« Um unsere Ehe auch nicht, ergänzte sie in Gedanken.
»Nett von dir«, erwiderte sie ohne Überzeugungskraft. Jetzt wollte sie nicht einmal mehr versuchen, die Ehe zu retten, und auch keine alten Gefühle aufwärmen. Ihr Entschluss stand fest, was keineswegs mit Hartley Bowman zusammenhing – nur mit William Walker.
»Was treibst du eigentlich auf dieser Ranch? Davon erwähnst du in deinen Faxen nichts. Ich habe schon seit ein paar Tagen nichts mehr von dir gehört. Oder doch?« Nicht einmal daran erinnerte er sich. Aber das spielte keine Rolle für Mary Stuart.
»Du erzählst mir ja auch nichts«, entgegnete sie spitz.
»Da gibt's nichts zu erzählen. Ich arbeite. Bis jetzt war ich kein einziges Mal bei Annabel's oder in Harrys Bar. Tag für Tag sitze ich im Gerichtssaal, Nacht für Nacht bereite ich mich auf die nächste Verhandlung vor. Viel Spaß macht das nicht, aber ich glaube, wir werden den Prozess gewinnen. Wir haben gut recherchiert.«
»Freut mich.« Mary Stuart starrte auf ihre roten Stiefel hinab. Während sie ihrem Mann zuhörte, konnte sie nur an Hartley denken, und bei diesem Vergleich kam Bill nicht gut weg. Mit Hartley würde sie nie ein solches Gespräch führen, und er würde sie auch nicht so grässlich behandeln wie Bill in diesem letzten Jahr. So etwas wollte sie nie wieder erleben.
»Nun, was machst du?« Vermutlich spürte er, dass sie nicht darüber reden mochte, und das schien ihn zu verblüffen.
»Wir reiten jeden Tag aus. Noch nie habe ich eine so großartige Landschaft gesehen wie die Tetons.«
»Wie geht's deinen Freundinnen?«
Warum interessierte ihn das alles plötzlich? »Gut«, entgegnete sie und erwähnte Zoes Krankheit nicht. »Jetzt erwarten sie mich zum Dinner.«
»Dann will ich dich nicht länger aufhalten. Richte ihnen herzliche Grüße von mir aus …« Sie wollte sich verabschieden und auflegen, doch da entstand eine sonderbare Pause am anderen Ende der Leitung. »Stu – ich vermisse dich.«
Diesem Geständnis folgte ein noch längeres Schweigen. Warum sagte er das, nachdem er sie ein Jahr lang ignoriert und gequält hatte? Vielleicht fühlte er sich schuldig und beklagte ebenso wie sie, was sie verloren hatten. Doch darauf würde sie nicht eingehen. Sie erlaubte ihm nicht mehr, ihr weh zu tun. Die Tür war endgültig geschlossen. Hatte er vielleicht getrunken? Das würde die späte Stunde und seine veränderte Stimme erklären. Wie auch immer, diesen Annäherungsversuch kaufte sie ihm nicht ab.
»Arbeite nicht zu viel. Gute Nacht.« Mehr sagte sie nicht, bevor sie auflegte und aus dem Haus eilte. Vor einem Jahr -noch vor sechs Monaten hätte sie sich für so herzlose Worte geschämt, doch jetzt empfand sie gar nichts.
Die Twostepp-Party war amüsanter als erwartet, und kein einziger Gast ließ sich dieses Ereignis entgehen. In einem blauen Chamois-Kleid, einen Kaschmirschal in derselben Farbe um die Schultern, saß Zoe auf einer Couch. Türkisblaue Ohrringe betonten ihre Augen, und sie sah zauberhaft aus. Auch andere Frauen trugen
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