Die Ranch
und jünger.«
»Ja, vielen Dank«, murmelte sie und schaute ihn noch immer nicht an. Einmal hatte ihr Cher erklärt, wenn man Blickkontakte vermied, würden die Leute einen nicht erkennen, aber es funktionierte nur manchmal. »Das haben schon viele Jungs gesagt. Sie muss ziemlich klein sein.«
»Klar. Aber sie singt gut. Gefällt sie Ihnen?«
»Sie ist okay«, antwortete Tanya in breitem Texanisch, und Mary Stuart bekämpfte mühsam ihren Lachreiz. »Leider singt sie lauter blöde Songs.« Scheinbar ungerührt spielte Tanya weiter.
»Finde ich nicht. Also, ich mag ihre Musik.«
Tanya zuckte die Achseln, und nach ein paar Minuten kehrte der Mann an seinen Black-Jack-Tisch zurück. Mary Stuart flüsterte ihrer Freundin zu: »Unglaublich, was du dich traust …«
Lachend hob Tanya die Brauen, dann gewann sie einen Zwanzig-Dollar-Jackpot. Im Wohnmobil hatten sie vereinbart, Schluss zu machen, wenn sie hundert Dollar verlieren würden, aber jetzt sah es so aus, als würden sie noch eine ganze Weile weiterspielen.
»Um unbeschadet durchs Leben zu gehen, braucht man sehr viel Mut«, kicherte Tanya. Etwas später hörte sie eine Frau rufen: »Schau mal, das ist Tanya Thomas!«
Doch der Mann, der Tanya vorhin angesprochen hatte, entgegnete lässig, sie würde nur so aussehen, und nichts geschah.
»Nur jünger«, ergänzte Tanya im Flüsterton, und Mary Stuart stieß sie mit dem Ellbogen an. Mittlerweile hatten sie fünfzig Dollar verloren.
Gegen zehn gingen sie ins Restaurant, um Hamburger zu essen, und Tanya ignorierte die neugierigen Blicke. Die Kellnerin beobachtete sie besonders aufmerksam, war sich aber nicht sicher und wagte es nicht, Fragen zu stellen. Und so konnten die beiden Frauen ungestört essen – für Tanya ein seltenes Erlebnis. Bis Mitternacht spielten sie wieder an den Automaten, dann teilten sie sich die vierzig Dollar, die noch übrig waren.
»Wow, wir haben vierzig Dollar gewonnen!«, jubelte Mary Stuart, als sie die Tür des Wohnmobils hinter sich schlossen.
»Nein, du Schwachkopf, wir haben sechzig verloren. Erinnerst du dich? Mit hundert haben wir angefangen.«
»Oh …«, jammerte Mary Stuart. Dann lachten sie wie Kinder, zogen sich aus und klappten die beiden Betten im grünen Zimmer herunter. Dazwischen stand ein großer Tisch.
»Übrigens, du siehst wirklich wie Tanya Thomas aus!«, rief Mary Stuart, während Tanya im Bad ihr dichtes blondes Haar bürstete. Jetzt fühlten sie sich wieder wie Zimmergenossinnen auf dem College, und Tanya reckte ihr Kinn hoch. Darin steckte seit Jahren ein kleines Implantat, und jetzt hatte sie wieder den Hals eines jungen Mädchens.
»Aber größer und jünger!«, zitierten sie wie aus einem Mund und brachen erneut in Gelächter aus.
»Vor allem jünger«, betonte Tanya. »Für diese Scheiße habe ich ein Vermögen ausgegeben.«
»Du bist ein hoffnungsloser Fall«, seufzte Mary Stuart und schlüpfte in ihr Nachthemd. So gut hatte sie sich schon lange nicht mehr unterhalten, und zum ersten Mal seit Monaten vermisste sie Bill kein bisschen. Plötzlich führte sie ihr eigenes Leben, und sein abweisendes Verhalten erschien ihr immer unwichtiger. »Du siehst genauso aus wie eh und je«, meinte sie und musterte Tanyas Spiegelbild. Auch sie selbst war jung geblieben, doch sie hatte nichts dafür getan.
»Und warum siehst
du
immer noch so fabelhaft aus? Obwohl du behauptest, du wärst nie bei einem plastischen Chirurgen gewesen? Wahrscheinlich lügst du«, neckte Tanya ihre Freundin. Doch sie wusste es besser. Mary Stuarts Gesicht mit dem klassischen Knochenbau brauchte keine Korrekturen.
Schließlich lagen sie im Bett und schwatzten bis zwei Uhr wie junge Mädchen, und am nächsten Morgen erwachten sie erst um neun. Tanya hatte Tom erklärt, sie würde ihn im Motel anrufen, wenn sie weiterfahren wollten. Während sie Kaffee kochte und süße Brötchen in der Mikrowelle aufbackte, duschte Mary Stuart. Danach ging Tanya unter die Dusche. Um halb zehn waren sie angezogen, in Jeans, T-Shirts und Cowboystiefeln. Sie machten sich nicht die Mühe, ihre Gesichter zu schminken.
»So lasse ich mich normalerweise nicht blicken.« Erstaunt starrte Tanya in den Spiegel. In L.A. konnte sie sich's nicht leisten, auf Make-up zu verzichten, doch hier spielte es keine Rolle, und sie genoss den Luxus unbeschwerter Freiheit. »Dauernd fürchte ich, irgendwo könnten Fotografen oder Reporter lauern. Und jetzt? Zum Teufel damit!« Auch Mary Stuart hatte das Gefühl, eine
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