Die Ranch
konnte jedoch seinen liebevollen Blick nicht erwidern. Plötzlich verengten sich seine Augen. »Da fällt mir ein – hast du eine Arzttasche bei dir?«
»Ja, im Koffer. Warum? Brauchst du sie?« Zoe sah sich um. »Ist jemand verletzt?«
»Ja, du – wenn ich dir meinen Schuh auf den Kopf schlagen werde. Du hast Ferien, du dummes Ding. Lass die Tasche bloß im Koffer!«
»Nun, ich will nicht damit auf der Ranch rumlaufen, aber ich dachte, falls was passiert…« Eindringlich schaute sie ihn an. »Nimmst du etwa keine Arzttasche mit, wenn du verreist? Ohne dieses ganze Zeug käme ich mir völlig verloren vor.«
»Bei mir ist das was anderes. So urlaubsreif wie du war ich noch nie.« Er umarmte sie, aber er wusste, sie würde ihm keinen Kuss gestatten. »Sei gut zu dir selber und vergiss uns alle. Wenn ich deine Hilfe brauche, rufe ich dich an.«
»Versprich es mir!«, drängte sie, und er nickte. Sie vertraute ihm ihre Klinik ohne Bedenken an, da er sich ernsthaft für die Patienten interessierte, ihr zuhörte und alles tat, was sie wollte, und niemals änderte er die Routine, wenn er für sie einsprang. Er war ein großartiger Arzt, und sie fand es schade, dass er sich mit Vertretungen begnügte.
»Keine Bange, ich werde mich sofort melden, falls Probleme auftauchen. Und du musst mir versprechen, mit rosigen Wangen und etwas dicker zurückzukommen – selbst wenn du von morgens bis abends deinen Cowboys nachstellst. Genieß den Sonnenschein und versuch, möglichst viel zu schlafen.«
»Ja, Doktor.« Sie dankte ihm noch einmal. Dann ging sie zum Flugzeug, und er winkte ihr, solange er sie sah, und beobachtete dann die Maschine, bis sie abhob.
Langsam verließ er den Flughafen. Bevor er den Ausgang erreichte, meldete sich sein Piepser, und er eilte zu einer Telefonzelle, um den Anruf eines Patienten aus Zoes Klinik zu beantworten.
Der Flug nach Salt Lake City dauerte über zwei Stunden, und dort angekommen, musste Zoe zwei Stunden auf die nächste Maschine warten. Inzwischen hatte sie die Zeitgrenze überschritten. Sollte sie mit Jade telefonieren? Nein, so kurz nach der Trennung würde es das Kind aufregen, Mommys Stimme zu hören. Sicher war es besser, erst von der Ranch aus anzurufen. Und so saß sie in der Halle, trank Kaffee, las Zeitungen und hing ihren Gedanken nach. Zu ihrer Verblüffung hatte Dick am Vortag angerufen, offenbar tief erschüttert über ihren Brief. Er bat sie nicht um ein Wiedersehen, betonte aber, sie solle sich melden, wenn sie seine Hilfe benötige, und er wisse ihre Ehrlichkeit zu schätzen. Dann fragte er, wie es zu der Infektion gekommen sei, und sie informierte ihn. »Kein Wunder«, meinte er. Schließlich legte er auf. Sie hatte sofort geahnt, dass sie nichts mehr von ihm hören würde, und das war ihr nur recht. In ihrem jetzigen Leben konnte sie weder Dick noch andere Männer gebrauchen.
Welch ein Luxus, einfach dazusitzen und auf das Flugzeug zu warten … Kein Telefon, kein Piepser, keine Patienten, niemand, der etwas von ihr wollte. So sehr sie ihre Arbeit auch liebte, sie wusste, dass sie diesen Urlaub genießen würde. Und sie musste Kräfte sammeln. Bis zum bitteren Ende wollte sie ihre Klinik leiten und ihr Bestes für die Patienten tun -bis sie ihnen nichts mehr zu geben vermochte. Was mit Jade geschehen sollte, musste sie noch überlegen. Sie hatte keine Verwandten, keine Freunde, die verantwortungsbewusst genug wären, um ein Kind zu betreuen, oder sie konnten keine Zeit dafür erübrigen. Sie hatte bereits erwogen, mit Tanya zu reden. Immerhin eine Möglichkeit.
Die Maschine nach Jackson Hole startete pünktlich und landete um halb sechs. Irgendwann am Nachmittag würde Tanya in ihrem Wohnmobil eintreffen. Ein Angestellter von der Touristenranch holte Zoe mit einem Lieferwagen ab, ein blonder Bursche namens Tim, in Jeans und Stiefeln, den unvermeidlichen Cowboyhut auf dem Kopf. Während der halbstündigen Fahrt erklärte er ihr, er würde aus Mississippi kommen, an der University of Wyoming in Laramie studieren und den Sommer über auf der Ranch arbeiten. Das sei ein fabelhafter Job, vor allem wegen der Pferde. Fasziniert von den majestätischen Bergen, hörte Zoe ihm kaum zu. Im Licht der sinkenden Sonne schimmerten sie bläulich und rosa, und auf jedem Gipfel glitzerte Schnee.
»Grandios, nicht wahr, Ma'am? Dieses Gebirge nimmt einem den Atem.« Lächelnd nickte sie und ließ den jungen Mann weiter schwatzen. Er erzählte ihr von seinem Onkel, einem
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