Die Ranch
»Jedenfalls weiß ich, wovon ich rede – der Junge ist in Mary Stuart verknallt.«
»Obwohl wir uns erst heute kennen gelernt haben?«
»Nun, seine Frau ist vor zwei Jahren gestorben, nicht wahr? Also müsste er sich inbrünstig nach Liebe sehnen. Nimm dich bloß in Acht, Stu. Womöglich bist du seiner wilden Leidenschaft nicht gewachsen.« Belustigt schaute Mary Stuart zu, wie Tanya ihr dichtes blondes Haar hochsteckte, ohne in den Spiegel zu schauen, und noch zauberhafter aussah als beim Frühstück.
»Warum ziehst du nicht einfach eine Plastiktüte über den Kopf?«, klagte Mary Stuart. »Und warum kämme ich mich überhaupt noch, wenn du so aussiehst, ohne dich drum zu bemühen?«
»Und was nützt mir das? Nicht einmal der Cowboy gönnt mir einen Blick. O Gott, ich dachte, seine Lippen wären zugenäht. So ein Arschloch!«
»Versuchst du etwa, den Cowboy zu verführen?« Mahnend hob Zoe einen Finger, und Tanya zog einen Schmollmund.
»Ich wollte einfach nur mit jemandem reden. Über Tolstoi oder Charles Dickens – oder den netten Typen, der Mary Stuart anhimmelt. Was du mit den Docs aus Chicago erörtert hast, würde mir den Magen umdrehen. Also musste ich mich mit einem Cowboy begnügen, der die Zähne nicht auseinander kriegt.«
»Sei doch froh, das er kein verrückter Fan ist und dich nicht mit dummen Fragen nervt.«
»Ja, natürlich«, gab Tanya zu. »Aber es war so langweilig.«
In diesem Augenblick kündigte ein Gong den Lunch an. Als sie zur Haustür gingen, läutete das Telefon. Unschlüssig schauten sie sich an, der Versuchung nahe, den Anruf zu ignorieren. Doch das konnten sie sich nicht leisten. Zoe glaubte, es wäre Sam, ein Patient oder Jade, und so meldete sie sich.
Aber es war Tanyas Sekretärin Jean, die mit ihrer Chefin über einen Vertrag sprechen wollte. Sie würde ihr die Originale für die Konzerttournee schicken – und, auf Wunsch des Anwalts, per Express eine Kopie mit rot markierten Klauseln. Sobald Tanya diese Kopie gelesen habe, müsse sie mit Bennett telefonieren. Allein schon die Stimme der Sekretärin strapazierte Tanyas Nerven. »Okay«, versprach sie.
»Und dann sollen Sie die unterschriebenen Verträge sofort zurückschicken«, betonte Jean.
»Ja, schon gut. Gibt's sonst noch was Wichtiges?« Ein ehemaliger Angestellter, von Tanya gekündigt, hatte sich schriftlich verpflichtet, sie nicht zu verklagen. Immerhin eine angenehme Abwechslung. Die
Vogue
und
Harper’s Bazar
wollten sie interviewen, und ein Filmmagazin recherchierte gerade für eine ziemlich miese Story. »Danke für die guten Neuigkeiten«, zischte Tanya. Wie sie das alles hasste … Warum musste ihr die große böse Welt bis in die Berge von Wyoming folgen? Ungeduldig legte sie auf und folgte ihren Freundinnen aus dem Haus.
»Alles okay?«, fragte Mary Stuart beunruhigt, weil Tanya so genervt aussah.
»Mehr oder weniger. Da gibt's jemanden, der mir seltsamerweise
keinen
Prozess machen will, und eine lausige Zeitschrift sammelt Informationen für eine üble Story. So schlimm wird's schon nicht werden.« Aber wann immer dergleichen geschah, hatte Tanya das Gefühl, man würde ihr einen Teil von ihrer Seele rausreißen. Eines Tages würde nichts mehr übrig sein, doch das war den Leuten egal.
»Kümmere dich nicht drum«, schlug Zoe vor. »Am besten, du liest diesen Schund gar nicht.« Als sie die Klinik gegründet hatte, waren ein paar kritische Artikel über das Projekt erschienen, was man allerdings nicht mit Tanyas Situation vergleichen konnte. Immerhin hatte man Zoes Privatleben verschont.
»Versuch es zu vergessen«, bat Mary Stuart. Beide Freundinnen legten ihre Arme um Tanyas Taille. Ohne zu ahnen, welch einen eindrucksvollen Anblick sie boten, gingen sie zum Ranchhaus hinauf. Drei wunderschöne Frauen. Aber Hartley Bowman, der vor seinem Bungalow stand, hatte nur Augen für Mary Stuart.
13
N achmittags ritten sie wieder aus, so vergnügt wie am Morgen, in denselben Gruppen, von denselben Cowboys begleitet. Wie Liz erklärte, würde jedem Gast während des ganzen Urlaubs dasselbe Pferd zur Verfügung stehen. Sie erkundigte sich bei allen, ob sie mit den Cowboys und den Pferden zufrieden seien, und offenbar beschwerte sich niemand.
Zoe diskutierte wieder mit den beiden Ärzten, und Tanya versuchte wegzuhören, während sie über Transplantationen sprachen, die ihr genauso unerfreulich erschienen wie die amputierten Gliedmaßen am Vormittag. Da sie Mary Stuart und Hartley allein lassen wollte,
Weitere Kostenlose Bücher