Die Ranch
Albträume. »Ich führe ein verrücktes Leben. Anfangs war's nicht so schlimm, doch dann wurde es immer unerträglicher, und daran wird sich nichts ändern.«
»Vielleicht sollten Sie ein Haus in diesen Bergen kaufen. Immer wieder ziehen Stars nach Wyoming, Montana oder Colorado, um sich für eine Weile zu verstecken und neue Kräfte zu sammeln. Sie könnten auch nach Texas zurückkehren, Ma'am.«
»Dieser Sphäre bin ich längst entwachsen.« Sein Gelächter klang herzerfrischend und passte zu ihm. »Zu heiß, zu staubig, zu öde. Deshalb kam ich nach Jackson Hole. Hier gefällt's mir besser. Leben Sie das ganze Jahr auf der Ranch?« Welch ein Unterschied zu dem langweiligen Vormittag … Selbst wenn sie Gordon nie wieder sehen würde – er wusste etwas über sie und sie über ihn. Sie müsste ihn in einem Song verewigen: The Silent Cowboy.
»Ja, Ma'am.«
»Und wie ist es?«
»Kalt.« Lächelnd warf er ihr einen Seitenblick zu. Ihre Schönheit machte ihm Angst, und es war einfacher, sie nicht anzuschauen. »Manchmal liegt der Schnee zwanzig Fuß hoch. Im Oktober schicken wir die Pferde nach Süden, denn später kommen wir nur noch mit Schneepflügen vorwärts. Meistens bin ich im Winter ganz allein hier.«
»Wahrscheinlich fühlen Sie sich sehr einsam.« Was mochte das für eine Atmosphäre sein, Lichtjahre von Bel Air entfernt, von Aufnahmestudios, Kinos, Konzerthallen?
»O nein, ich fühle mich sehr wohl in dieser Jahreszeit. Ich finde Zeit zum Lesen und Nachdenken, ich schreibe ein bisschen was und höre Musik.«
»Etwa meine CDs? Mitten im Schnee?« Welch eine absurde, faszinierende Vorstellung …
»Hin und wieder, oder Country-Music. Früher mochte ich Jazz, jetzt schwärme ich eher für Mozart und Beethoven.«
Offenbar hatte sie ihn völlig falsch eingeschätzt. Sie wollte fragen, ob er verheiratet sei und Kinder habe – aus reiner Neugier, nicht aus ernsthaftem Interesse. Doch das wäre zu persönlich, und sie würde ihn womöglich verwirren. Er zog bestimmte Grenzen, die er nicht überschritt. Und ehe sie sich etwas genauer nach seinem Leben auf der Ranch erkundigen konnte, ritten sie zu den anderen zurück. Mary Stuart und Hartley plauderten freundschaftlich, die Mediziner sezierten immer noch Patienten, anscheinend ein unerschöpfliches und fesselndes Thema.
In dieser Gruppe hatten sich Seelenverwandte gefunden, und alle bedauerten das Ende des Ausritts. Es war erst vier Uhr, und sie konnten jetzt im Pool schwimmen, eine Wanderung machen oder Tennis spielen. Doch dazu waren sie zu müde. Vor allem Zoe wirkte erschöpft. Schon am Vortag hatte Tanya festgestellt, dass die Freundin viel blasser war als damals im College. Das Ehepaar aus Chicago wollte spazieren gehen und wilde Blumen studieren, und Hartley begleitete die drei Frauen zu ihrem Bungalow. Überrascht sahen sie einen etwa sechsjährigen Jungen vor der Tür sitzen, der auf jemanden zu warten schien. Sein Anblick weckte seltsame Gefühle in Mary Stuarts Herzen.
»Hi!«, rief Tanya. »Bist du heute ausgeritten?«
»Ja.« Er schob einen roten Cowboyhut in den Nacken. Zu seinem blauen Jeansanzug trug er schwarze, mit roten Stieren bestickte Stiefel. »Mein Pferd heißt Rusty.«
»Und wie heißt du?«
»Benjamin. Meine Mommy kriegt bald ein Baby. Deshalb darf sie nicht reiten.« Das teilte er ihnen bereitwillig und unbefangen mit.
Lächelnd wechselten Tanya und Zoe einen Blick. Mary Stuart stand etwas abseits und unterhielt sich mit Hartley. Ohne es zu merken, runzelte sie die Stirn. Aber Tanya sah es und wusste, warum – selbst wenn die Freundin nichts dergleichen ahnte. Das Kind sah so aus wie Todd in diesem Alter. War es Mary Stuart aufgefallen? Tanya wollte Zoe nicht darauf hinweisen, aus Angst, Mary Stuart könnte es hören.
Und seltsamerweise starrte der Junge zu Mary Stuart hinüber, als würde er sie kennen. Es war fast unheimlich. Nach einer Weile verkündete er: »Meine Tante sieht so aus wie du.« Doch Mary Stuart wollte nicht mit ihm reden. Sie hatte seine Ähnlichkeit mit Todd nicht gesehen, eher gespürt. Und Hartley las etwas in ihren Augen, das ihm zu denken gab.
»Haben Sie Kinder?«, fragte er. An diesem Nachmittag hatte er den Ehering an ihrer Hand bemerkt, aber auf Grund ihrer Erklärung, wo sie den restlichen Sommer verbringen würde, die Überzeugung gewonnen, sie wäre allein. Was den Zustand ihrer Ehe betraf, tappte er ebenso im Dunkeln wie sie selbst.
»Ja …«, antwortete sie vage. »Eine Tochter …
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