Die Ranch
Mein Sohn ist gestorben.« Bestürzt hörte er, wie verzweifelt ihre Stimme klang. Weil sie das Kind nicht länger sehen mochte, ging sie ins Haus, und er folgte ihr.
»War er …« Hartley zögerte, erfüllt von dem Wunsch, ihr näher zu kommen. Doch er wusste nicht, wie. »War er sehr jung?«, fuhr er vorsichtig fort. Vielleicht sollte er das Thema fallen lassen, aber er würde so gern mehr über sie erfahren. Suchte sie auf dieser Ranch Vergessen, nachdem ihr Sohn und ihr Mann einen tödlichen Unfall erlitten hatten? Oder war sie immer noch verheiratet? Das alles wollte er herausfinden. Nach den gemeinsamen Reitausflügen hatte er das Gefühl, dass sie Freunde geworden wären. An diesem entlegenen Ort, wo sie der Zufall zusammengeführt hatte, würden sie nur kurze Zeit miteinander verbringen. Und wenn sich die Freundschaft vertiefen sollte, musste er möglichst schnell einen Zugang zu ihrem Herzen finden.
»Todd war zwanzig.« Rasch wandte sie sich vom Fenster ab, um nicht beobachten zu müssen, wie der kleine Junge mit Zoe und Tanya schwatzte. »Letztes Jahr ist er gestorben«, fügte sie leise hinzu und starrte auf ihre Hände hinab.
»Das tut mir Leid«, beteuerte Hartley leise. Sekundenlang berührte er ihren Arm. Er kannte den Schmerz des Verlustes nur zu gut. Sechsundzwanzig Jahre lang war er mit Margaret verheiratet gewesen, doch sie hatte ihm keine Kinder schenken können. Das hatte er akzeptiert und in gewisser Weise geglaubt, dass dadurch ein noch engeres Band zwischen ihnen entstanden wäre. Jetzt schaute er Mary Stuart an und vermochte kaum zu ermessen, was in ihrem Herzen vorging. »Es muss schrecklich sein, ein Kind zu verlieren. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Für mich war es schlimm genug, als Margaret starb. Ich dachte, es würde mich umbringen. Jeden Morgen staunte ich, weil ich wieder einmal erwachte. Ich glaubte, ich würde vor Trauer sterben. Im letzten Winter schrieb ich über dieses Thema ein Buch.«
»Das hat Ihnen sicher geholfen, den Kummer zu verarbeiten«, meinte sie, als sie sich im Wohnzimmer auf ein Sofa setzten. »Ich wünschte, ich könnte auch darüber schreiben. Aber mittlerweile geht es mir etwas besser. Vor ein paar Tagen räumte ich Todds Sachen weg, wozu ich mich monatelang nicht aufraffen konnte.«
»Bei mir hat's zwei Jahre gedauert. In dieser ganzen Zeit konnte ich Margarets Zimmer nicht betreten.« Seit ihrem Tod war er nur mit zwei Frauen ausgegangen und hatte beide gehasst, weil sie ihr nicht glichen. »Für Ihren Mann muss es auch schwierig gewesen sein«, meinte er, um weitere Informationen zu sammeln.
»Sehr schwierig. Unsere Ehe hat Todds Tod nicht verkraftet.«
Kein Wunder, dachte Hartley. »Wo ist er jetzt?«
»In London«, antwortete sie, und er nickte. Er nahm an, ihr Mann würde in England leben.
Warum er ihr diese Fragen stellte, wusste sie nicht, und sie glaubte, er wollte nur freundlich sein. Es war lange her, seit ein Mann Interesse an ihr gezeigt hatte. Und so betrachtete sie Hartley einfach nur als netten Reitgefährten, mit dem sie sich erstaunlich gut unterhalten konnte. Er fragte, ob sie gemeinsam an seinem Tisch zu Abend essen könnten, und sie erwiderte, sie würde es ihren Freundinnen vorschlagen. Dann verabschiedete er sich, um in seinem Bungalow die Post durchzusehen und ein bisschen zu arbeiten.
Als Tanya und Zoe hereinkamen, erzählte sie ihnen von der Einladung, und erwartungsgemäß wurde sie geneckt.
»Das ist aber schnell gegangen, Stu«, konstatierte Tanya, und Mary Stuart warf ihr ein Sofakissen an den Kopf. »Schon gut, ich mag ihn.«
»Um Himmels willen, er hat uns alle eingeladen, nicht nur mich. Seit er seine Frau verloren hat, fühlt er sich einsam. Er ist liebenswert und intelligent und …«
»Und sehr interessiert an dir. Großer Gott, ich bin doch nicht blind! Wahrscheinlich bist du zu lange verheiratet, und deshalb merkst du's nicht, wenn dich ein Mann anschaut.«
»Und dein Cowboy?«, konterte Mary Stuart. »Offenbar hat er seine Hemmungen überwunden. Du konntest ihm sogar ein Lächeln entlocken.«
»Ein ungewöhnlicher Typ. Im Winter lebt er manchmal ganz allein hier.« Dass er ihre Musik hörte, erwähnte Tanya nicht. Aber das war ja auch kein Anzeichen für eine Romanze.
»Vermutlich seid ihr beide blind«, warf Zoe ein. »Hartley Bowman ist verrückt nach Stu. Und unser Cowboy wird sich bald in Tanya verlieben.« Beide lachten sie aus.
»Und du, Zoe?« Viel sagend hob Tanya die Brauen. »Wirst du
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