Die Ranch
eine Ehe zerstören und mit dem Doktor aus Chicago durchbrennen?« Er war klein und dick, mit schütterem Haar.
»Bedauerlicherweise ist seine Frau viel interessanter«, erwiderte Zoe. »Also müsste ich mit ihr weglaufen, und das ist nicht mein Fall.«
»Sei nicht traurig, du hast ja immer noch Sam.«
Stöhnend verdrehte Zoe die Augen. »Wenn er wüsste, wie eifrig du dich für ihn einsetzt, Tan … Weißt du, was? Wenn du nach San Francisco kommst, musst du unbedingt mit ihm ausgehen. Er wird dir gefallen.«
»Abgemacht. Und jetzt reden wir über Mary Stuart. Erzähl uns von deinem neuen Freund, Stu.«
»Da gibt's nichts zu erzählen. Er ist einfach nur einsam.«
»So wie wir alle.« Tanya streckte sich auf dem Sofa aus, nach den beiden Reitausflügen schmerzten ihre Beine.
»Ich bin nicht einsam«, protestierte Zoe, »und sehr glücklich.«
»Klar, du bist eine Heilige«, seufzte Tanya, und sie lachten.
»Vergesst die Kerle, ich werde mich mit Benjamin anfreunden«, verkündete Zoe.
»Eine gute Idee«, meinte Tanya. Mary Stuart gab dazu keinen Kommentar ab, stattdessen erwähnte sie Hartleys Einladung und fragte, ob sie sich beim Dinner an seinen Tisch setzen sollten. Damit war Tanya sofort einverstanden. »Okay, Stu, wir beide werden dir helfen, den netten Mr. Bowman zu umgarnen.«
»Nun mal langsam! Ich bin immer noch verheiratet.«
»Weiß er das?«, gab Zoe zu bedenken. Obwohl Mary Stuart einen Ehering trug, würde er sich sicher fragen, warum sie allein auf die Ranch gekommen war.
»Er hat sich erkundigt, wo mein Mann ist, und ich antwortete, in London.«
»Oh …« Tanyas Augen verengten sich. »Womöglich glaubt er, Bill würde in London leben und ihr wärt geschieden. Schenk Mr. Bowman lieber reinen Wein ein, sonst könnte er einen falschen Eindruck gewinnen.« Und welcher Eindruck war richtig?
»Ich habe erklärt, unsere Ehe sei am Tod meines Sohnes zerbrochen«, sagte Mary Stuart beiläufig.
»Das hast du ihm erzählt?«, fragte Tanya verblüfft. Ein sehr intimes Geständnis, wenn man bedachte, dass Mary Stuart den Mann erst an diesem Tag kennen gelernt hatte … Andererseits waren sie sechs Stunden lang miteinander ausgeritten.
»Vielleicht sollte ich betonen, dass ich immer noch verheiratet bin. Falls ihn das überhaupt interessiert …« Beide Freundinnen brachen in lautes Gelächter aus. »Oh, ihr seid widerlich!«, klagte sie und verschwand in ihrem Badezimmer.
Zoe rief in der Klinik an. Aber Sam war gerade mit einem Patienten in einem Behandlungszimmer, und Annalee versicherte, alles sei in Ordnung. Danach legte sie sich hin und schlief bis zum Dinner. Als sie aufstand, fühlte sie sich erstaunlich frisch und munter.
An diesem Abend dinierten sie mit Hartley und genossen seine anregende Gesellschaft. Er erzählte amüsante Geschichten von seinen Reisen, und er kannte viele faszinierende Leute. Höflich verteilte er seine Aufmerksamkeit auf alle drei Frauen. Aber während er sie zu ihrem Bungalow begleitete, ging er an Mary Stuarts Seite, sprach leise mit ihr, und was er sagte, war nur für ihre Ohren bestimmt.
Nachdem die beiden anderen ins Haus gegangen waren, setzte sie sich mit Hartley auf eine Bank. Der Mond war fast voll und versilberte die schneebedeckten Gipfel. Sie wusste nicht, wie sie das Thema anschneiden sollte, doch sie fand, er müsste wissen, dass sie noch verheiratet war.
»Ich möchte Ihnen was sagen«, begann sie schließlich. »Obwohl ich mich wie eine Närrin fühle … Und vielleicht ist's Ihnen gleichgültig … Jedenfalls will ich keinen falschen Eindruck erwecken. Ich bin verheiratet …« Verwirrt sah sie die Enttäuschung in seinen Augen. »Mein Mann verbringt diesen Sommer in London, um zu arbeiten. Wenn er zurückkommt, werde ich ihn verlassen. Um diesen Entschluss zu fassen, habe ich lange gebraucht, aber der Tod unseres Sohnes hat die Ehe zerstört, und jetzt ist es an der Zeit, einen neuen Anfang zu wagen.«
»Weiß Ihr Mann, was Sie empfinden?«, fragte Hartley leise.
»Zweifellos. Seit einem Jahr hat er kaum mit mir gesprochen. Er gibt mir die Schuld am Tod des Jungen. So kann ich nicht weiterleben. Verzeihen Sie – ich will Sie nicht mit meinen Problemen behelligen. Sie sollen nur wissen, dass ich noch verheiratet bin – allerdings nicht mehr lange.«
»Vielen Dank für Ihre Ehrlichkeit«, erwiderte er lächelnd. Seit Margarets Tod war sie die erste Frau, die ihn ernsthaft interessierte, obwohl er sie erst vor ein paar Stunden kennen
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