Die Ranch
gelernt hatte.
»Hoffentlich halten Sie mich nicht für albern, weil ich das Thema angeschnitten habe. Für Sie macht es sicher keinen Unterschied – es ist nur …« Beschämt verstummte sie. Für Hartley spielte es wohl kaum eine Rolle, ob sie verheiratet war oder nicht. Hätte sie bloß den Mund gehalten …
»Eigentlich wollte ich gar nicht nach Wyoming kommen. Zwei Jahre lang vergrub ich mich in meinem Selbstmitleid. Es gab keine Frau, die mich auch nur einigermaßen trösten konnte. Und plötzlich sind Sie da, Mary Stuart, wie ein heller Sonnenstrahl in meiner dunklen Einsamkeit. Ich weiß nicht, was geschehen wird, was Sie wollen, oder was ich will. Nur eines sollen Sie wissen – obwohl wir uns erst vor wenigen Stunden begegnet sind, bedeuten Sie mir sehr viel. Ich bedaure den Verlust Ihres Sohnes.« Behutsam legte er einen Arm um ihre Schultern. »Und als Sie heute Nachmittag den kleinen Jungen sahen, wollte ich den tiefen Schmerz aus ihren Augen verscheuchen. Noch etwas muss ich gestehen – es bedrückt mich, dass Sie noch nicht geschieden sind. Aber vielleicht ist das alles gar nicht wichtig. Ich weiß nicht, ob Sie mich nach dieser Woche wieder sehen wollen. Womöglich mache ich mich lächerlich … Wenn's so ist, sagen Sie's mir, und ich werde Sie während dieses Urlaubs nicht mehr belästigen.«
Forschend betrachtete er ihr Gesicht und sah im Mondlicht Tränen in ihren Augen schimmern. Solche Dinge hätte Bill sagen müssen, doch monatelang war er stumm geblieben. Und plötzlich trat dieser Fremde in ihr Leben, wie eine Antwort auf ihre Gebete.
»Ich möchte einfach nur mit Ihnen zusammen sein und Sie näher kennen lernen«, fuhr er fort. »Warten wir ab, was dann passieren wird.«
»Träume ich?«, flüsterte sie. War es möglich, einen Mann wie Hartley zu finden – völlig unverhofft?
»Das habe ich mich heute Nachmittag auch gefragt. So schnell dürfen wir keine Antworten suchen. Genießen wir einfach nur die Zeit, die wir zusammen verbringen.« Er spürte ihr Haar, das seine Wange streifte. Sekundenlang schloss er die Augen und atmete ihren Duft ein. Nach einer Weile fühlte er, wie sie zu zittern begann, doch nicht nur vor Kälte.
An diesem Morgen hatte sie ihn zum ersten Mal gesehen. Aber da sie alle seine Bücher gelesen hatte, glaubte sie, ihn sehr gut zu kennen. Durch ihre langen Gespräche waren sie einander näher gekommen, und die Anziehungskraft erschien ihnen unwiderstehlich.
»Sie frieren, Mary Stuart. Sie sollten ins Haus gehen.« Sie standen auf, und er begleitete sie zur Tür, immer noch einen Arm um ihre Schultern gelegt. Könnte er doch in dieser Nacht bei ihr bleiben …
»Danke für alles«, wisperte sie.
Als sie den Bungalow betrat, stellte sie fest, dass ihre Freundinnen schon schliefen. Erleichtert atmete sie auf, denn jetzt wollte sie keine Fragen beantworten.
Auf ihrem Bett lag ein Fax von Bill. Kurz und bündig. Und schmerzhaft. »Hoffentlich bist Du okay. Arbeit in London erfolgreich. Gruß an Deine Freundin. Bill.« An den unteren Rand des Blatts hatte Tanya geschrieben: »Wenn ich Du wäre, würde ich meinen Anwalt anrufen.«
Mary Stuart legte das Fax beiseite. Das Leben hatte ihr unverhofft eine neue Chance gegeben. Eine Tür schloss sich hinter ihr, und eine andere begann sich zu öffnen, um hellen Sonnenschein einzulassen.
14
Am nächsten Morgen mussten Zoe und Mary Stuart ihre Freundin erneut aus dem Bett holen.
»Steh auf, mein Herz, und singe!«, rief Zoe, während Mary Stuart die Decke zurückschlug und die Schlafmaske von Tanyas Gesicht nahm.
»Warum seid ihr so sadistisch?«, jammerte Tanya, blinzelte ins Sonnenlicht und drehte sich auf den Bauch. »Mein Gott, was ist das? Ich erblinde!«
»Das nennt man Sonnenschein, und davon gibt's draußen eine ganze Menge«, erklärte Mary Stuart und beobachtete, wie Tanya sich langsam aufrichtete. »Wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich dich für einen verkaterten Trunkenbold halten.«
»Im Alter brauche ich eben mehr Schlaf«, erwiderte Tanya und wankte gähnend zum Bad.
»Beeil dich!«, befahl Zoe. »Big Max wartet.«
»Sagt ihm, er soll lieber ausschlafen«, stöhnte Tanya. »Dann wird's ihm besser gehen als mir.« Aber zwanzig Minuten später tauchte sie wieder auf und sah so hinreißend aus wie jeden Morgen. Diesmal trug sie hellrosa Jeans, ein rosa T-Shirt, ein rosa Halstuch und ihre alten gelben Stiefel. Ihr langes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, und ein paar Strähnchen umrahmten
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