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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Studentin dort niedergelassen – sie hatten einen wilden Streik genutzt, der das gesamte Land lahmlegte und Marianne für eine Nacht in der tiefsten Provinz feststecken ließ –, und das Testergebnis war überzeugend ausgefallen. Es kam nicht nur auf die Füllung an. Neben der bewundernswerten Qualität der Federn und der Festigkeit des Schaumgummis konnte einen schon die Berührung mit dem Leder – einem herrlich dicken und verwirrend weichen Ziegenleder – schwach machen, und wollte man der Studentin glauben, brauchte man sich nur nackt darauf auszustrecken und mehr oder weniger sanft den Hintern auf und ab zu bewegen.
    »Hör zu«, sagte er – und sie wandte den Blick von ihren Zehen ab, um ihn anzusehen –, »hör zu, hör mir gut zu, erstens werde ich immer für dich da sein, und daran wird sich auch nichts ändern, das weißt du doch eigentlich ganz genau, du kannst also beruhigt sein. Du bist meine Schwester, ich liebe dich. Einerseits. Aber, entschuldige bitte, ich möchte anmerken, dass ich meinerseits auch kein Riesentheater mache, was das Verhältnis angeht, das du mit diesem Vollidioten unterhältst. Ich könnte eins machen, aber ich tue es nicht. Du glaubst wahrscheinlich, es macht mir Spaß zu sehen, dass du mit diesem Idioten zusammen bist…«
    »Ich mit ihm zusammen?!«
    »Marianne! Bitte. Wie auch immer man das nennen will. Scheißegal, sag dazu, was du willst. Ich werde jedenfalls nicht zu seiner Grillparty gehen. Ich werde nicht zu ihm Würstchen essen gehen und mich in seinem Hinterhof einräuchern lassen. Das habe ich nicht nötig. Du hast ihn also ganz für dich allein. Du solltest mir dankbar sein.«
    Sie schnappte sich eine Statuette, die in Griffweite stand, und schleuderte sie auf den Boden, wo sie in tausend Stücke zersprang.
    Es war eine Marienstatue, wie sie in Lourdes zu Hunderttausenden verkauft wurden und die mit der Zeit ihre Farbe veränderten. Inzwischen war es dunkel geworden. Ihr Vater hatte ihre Mutter immer ermutigt, Geschirr zu zerschlagen, anstatt ihre Wut in sich hineinzufressen, aber sie hatte sich nicht oft dazu durchringen können, das Ergebnis war allgemein bekannt.
    Immerhin, Marianne zerschlug etwas – und das Geräusch von splitterndem Glas und Porzellan hatte etwas Befreiendes, wie ein Donner, der nicht etwa ein Gewitter ankündigte, sondern urplötzlich die Tropfen versiegen ließ und zusammen mit der Stille den blauen Himmel zurückbrachte.
    Er selbst bevorzugte es, schnell und querfeldein durch den Wald zu marschieren und zu schreien, wenn er sich weit genug entfernt und allein glaubte. Dann quoll ein Geheul aus ihm hervor wie ein Blutstrom aus einem großen, verletzten Tier. Jeder auf seine Art. Seine Mutter war auch eher jemand gewesen, der schrie, die Hände rang, sich auf dem Boden wälzte, sich die Haare ausriss. Büschelweise. Manchmal hatte es fast so ausgesehen, als sei sie von einer Mykose befallen.
    Er hatte sich lange gefragt, ob man die Farbveränderung der Marienstatue als ein Wunder auffassen sollte oder ob sie zumindest als eines hingestellt wurde, und beim Gedanken daran, dass er sie nicht mehr sehen würde, bemerkte er, dass er sich an sie gewöhnt und mindestens einmal am Tag einen Blick auf sie geworfen hatte. Bis jetzt.
    Die winzig feinen Splitter glitzerten auf dem Boden wie Schnee, wie Kristallzucker. Er stand auf und machte Feuer, während sie die größten Scherben auf eine Kehrichtschaufel fegte – ein verbeultes Ding, das diesen Namen kaum noch verdiente. Er bereute nicht, dass er so schroff mit ihr umgesprungen war. Was sie sich, warum auch immer, von Richard gefallen ließ, musste ihr irgendwie angemessen vergolten werden. Ganz egal, von wem sie sich etwas hätte gefallen lassen, die Vorstellung wäre für ihn bestimmt nicht sehr angenehm gewesen, das verstand sich von selbst, aber Richard Olso war der Schlimmste von allen. Er übertraf wirklich alles, war Sieger in allen Klassen. Warum gab es eigentlich kein Gesetz für all jene Schwestern, die es erstaunlicherweise immer wieder schafften, den räudigsten Hund weit und breit aufzutreiben, den landauf, landab jämmerlichsten Liebhaber, das vollendete Arschloch, das nur darauf gewartet hatte, einem für alle Ewigkeit das Leben zur Hölle zu machen? Da fehlte ein strenges Gesetz. Besser, man hatte einen Bruder. Das war einfacher.
    Seiner, den er hätte haben sollen, war tot geboren worden – oder fast, er hatte nur einige Tage überlebt. Dieser Bruder war, was er am meisten

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