Die Ratte des Warlords (German Edition)
des AIDS'. Und dem Elend dessen, was Menschen sich gegenseitig antun konnten. Nichts von dem Wissen, das Katrin sich vor der Reise angelesen hatte, hatte sie darauf vorbereitet. Zu Hause hatte sie gedacht, sie würde Menschen, die es schwer hatten, inmitten überwältigender Natur fotografieren. Aber sie hatte sich niemals vorstellen können, wie schwer es die Menschen hier hatten.
Drei Wochen , nachdem Katrin Südafrika verlassen hatte, gestand sie sich ein, dass sie nicht darauf vorbereitet war, die geballte Last des Lebens, die auf den Menschen in Afrika lastete, zu verkraften. Zu Hause klagten die Menschen über ihre Lebensumstände, hier war es das Leben selbst, die nackte Existenz, die an den Menschen zerrte. Die Hilflosigkeit, die ausweglose Endgültigkeit in den vom Schicksal gebeutelten, eingefallenen Gesichtern der Menschen, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand der Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben kämpften, die Katrins durch intellektuelle Phantasie und privilegierte Verhältnisse geprägte Vorstellungskraft bei weitem überstiegen, war mehr als sie ertragen konnte.
Katrin hatte ihre Reise am Kap der guten Hoffnung begonnen. Der Name war verheißungsvoll, aber Katrin hatte nicht viel gesehen, was auch nur die Spur di eser Verheißung gewesen wäre. Und nur, weil sie eine Grenze überquerte, änderte sich nicht viel daran, und wenn, dann höchstens zum Schlechten hin. Je weiter Katrin nach Norden kam, desto mehr sah sie den dunklen Schatten der Ungerechtigkeit, der bedrohlich hinter allem und jedem schimmerte.
Südafrika war das fortschrittlichste Land des Kontinents und wirklich wunderschön. Hier herrschte der in Afrika seltene Frieden, den Menschen ging es relativ gut, sie waren frei, die Apartheid war zu Ende. Aber ihre Prägung beherrschte die Menschen nach wie vor. Zu groß war der Kontrast zwischen den Wellblechhütten der Schwarzen und den Villen der Weißen. Zu deutlich die Ausweglosigkeit der Armen und die Überheblichkeit der Reichen. So extrem hatte Katrin es nirgends in Europa erlebt und das hatte sie mitgenommen.
Botswana war nicht minder schön wie Südafrika, aber es war viel schlechter dran. Das Schlimmste war die im Land grassierende AIDS-Seuche. Die ganz jungen wurden von den ganz alten aufgezogen, weil die Generation dazwischen der Krankheit zum Opfer gefallen war. Die Bilder von infizierten Kindern, kleinen Menschen ohne Zukunft, lagen Katrin so schwer auf dem Herzen, dass sie froh war, das Land wieder verlassen zu können.
Wenn in Botswana AIDS das alles Überschattende war, das in den Gesichtern der Menschen einen Abdruck ergebener Sinnlosigkeit hi nterließ, dann waren es in Simbabwe die Nullen auf den Preisschildern. Die im Tausendprozentbereich wütende Inflation prägte die Menschen genauso wie es die Krankheit in Botswana tat. Das bedeutete aber nicht, dass Simbabwe kein AIDS-Problem hatte. Es war nur etwas kleiner.
Eine furchterregende HIV -Infektionsrate hatte auch Sambia. Die Lebenserwartung betrug hier weniger als vierzig Jahre, es gab eine Million AIDS-Waisen, die niemals eine Schule besuchen würden. Die Wirtschaft des Landes erholte sich zwar von den Fehlern der vergangenen Jahrzehnte, aber sie war immer noch nicht stark genug und mehr als die Hälfte der Bevölkerung hatte weniger als einen Dollar pro Tag zum Leben. So schön und überwältigend die Natur des Landes war, so überwältigend war auch das Leid seiner Menschen.
Nach einigen Tagen in Sambia wollte Katrin weiter. Zu Hause hatte sie übe rlegt, nach Kongo zu gehen, sie sprach auch Französisch. Aber im früheren Zaire wütete ein Bürgerkrieg, in den auch einige Nachbarländer miteinbezogen waren.
Katrins erster und einziger Aufen thalt im Kongo war ein Flüchtlingslager, in dem Menschen aus Ruanda lebten. Nach all dem Elend, das Katrin schon zuvor gesehen hatte, kam ihr das Dasein der Flüchtlinge nur noch als Vegetieren vor. Nach nur einem halben Tag im Lager wusste Katrin, dass sie dem Krieg nicht gewachsen war. Sie verließ das Lager verstört, das Einzige was ihr half, war die unermessliche stille Bewunderung für die Menschen, die Kraft hatten, Tag für Tag in solchen Lagern zu arbeiten und trotz der scheinbaren Aussichtslosigkeit den Menschen dort zu helfen. Katrin kehrte nach Sambia zurück.
Sie hatte mindestens ein halbes Jahr für ihre Reise eingeplant. Aber sieben Wochen nach dem Aufbruch, eingepfercht in einen alten klapprigen Bus, der sie durch die Landschaft
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