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Die Ratten

Die Ratten

Titel: Die Ratten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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der Kinderzeit kannte, und stieß auf lange vergessen gewähnte Gassen. Erinnerungen wurden wach: Der Tabakladen, in dem er seine erste Schachtel >Domino<-Zigaretten gekauft hatte; das Haus, in dem Linda Crossley gewohnt hatte. Als sie Teenager gewesen waren, hatte Linda ihn und sechs seiner Freunde eines Abend hinter dem örtlichen Jugendklub herangelassen - und fortan war sie als >7-up< bekannt gewesen; Trümmergrundstücke, die immer noch nicht bebaut waren; schiefe Pfosten, an denen einst Pferde angebunden worden waren. Zu seiner Zeit hatten die Kinder diese Pfosten zum Bockspringen benutzt und heute - nun, es gab nicht mehr viele Pferde - und wann hatte er zum letzten Mal gesehen, daß sich Kinder mit Bockspringen vergnügten?
    Schließlich fuhr Harris mit dem Bus nach Hause. Er kochte sich Tee und setzte sich in seinen einzigen Lehnsessel, immer noch niedergeschlagen wegen der Ereignisse des Vormittags. Keogh, die Frau und ihr Baby, diese armen, alten Penner, Ferris und die alte Rentnerin. Zivilisiertes London. Swinging London. Dreckiges, blutiges London!
    Bei aller Modernität und dem hohen Lebensstandard konnte die Stadt immer noch widerliche Schädlinge hervorbringen, die eine tödliche Krankheit übertrugen, Ratten, wie er sie heute gesehen hatte. Und ihre Größe! Was verursachte eine solche Mutation? Und ihre Gerissenheit. Zweimal an diesem Tag hatte eine der großen, schwarzen
    Ratten einfach verharrt und ihn angestarrt (war es jedesmal dieselbe gewesen?), hatte weder ängstlich die Flucht ergriffen noch einen Angriff vorbereitet, sondern ihn nur beobachtet und mit unergründlichem Blick genau gemustert.
    Wie viele weitere Leute würden sie töten, bevor sie zur Strecke gebracht werden konnten? Und woher waren sie gekommen? Was machte sie soviel intelligenter als ihre kleineren Artgenossen? Nun, warum sollte er sich darüber den Kopf zerbrechen. Es war das Problem der verdammten Behörden. Aber was widerte ihn mehr an? Die Ratten - oder die Tatsache, daß so etwas nur in East London passieren konnte? Nicht in Hampstead oder Kensington, aber in Poplar. Waren es die alten Vorurteile gegen die Mittel- und Oberschicht, gegen die Politiker vom Stadtrat, die die Arbeiterklasse aus ihren Slums holte, in große, abgelegene Betonsilos steckte und den Leuten sagten, sie hätten es noch nie so gut gehabt? Politiker, die sich nie vor Augen hielten, daß vierzig Wohnungen in einem Mietblock für die Leute zu vierzig Einzelzellen wurden und daß sich die Kommunikation zwischen ihnen auf Unterhaltungen im Aufzug beschränkten. War es das, was ihn wirklich ärgerte? Daß dieselben Politiker den Dreck zuließen, der Schädlinge wie die schwarzen Ratten hervorbrachte?
    Er erinnerte sich an den Zorn, den er gehabt hatte, als ein neues >ultramodernes< Hochhaus mit Mietwohnungen eingestürzt war und wie durch ein Wunder nur neun Leute ums Leben gekommen waren. Sein Ärger hatte sich nicht nur auf die Architekten gerichtet, die solch ein Wohnsilo geplant hatten, sondern auf die Politiker und Behörden, die den Bau genehmigt hatten. Er erinnerte sich an die Gerüchte, die sich anschließend ausgebreitet hatten; das bevorzugte war die Geschichte von einem Safeknacker gewesen, der in seiner Wohnung Plastik-sprengstoff aufbewahrt hatte, der explodiert war und einen der Betonpfeiler zerstört hatte, woraufhin die Wände wie bei einem Kartenhaus zusammengefallen waren. Dann die Geschichte mit dem Leck in der Gasleitung, die sich schließlich als die wahre Ursache erwiesen hatte. Doch der springende Punkt war, daß der Bau an sich aus einer kleineren Katastrophe eine große gemacht hatte. Bei der Konstruktion war an allen Ecken und Enden gespart worden - der Bau war eine billige Möglichkeit, dreißig oder vierzig Familien auf kleinstmöglicher Fläche zusammenzupferchen. Das war es, was Harris erbittert hatte: die Unfähigkeit der >Behörden<.
    Dann mußte er über sich lächeln. Er war im Grunde seines Herzens immer noch ein Student, ein Rebell gegen die maßgeblichen Regierungsstellen. Als Lehrer unterstand er der direkten Kontrolle des Staats und ärgerte sich des öfteren über Beschlüsse >von oben<, aber er wußte, daß es aufrichtige Männer und Frauen in den Ausschüssen gab, die ihre Aufgaben wirklich ernst nahmen und hart um die richtigen Entscheidungen kämpften. Er hatte zum Beispiel viele Geschichten über Einzelpersonen gehört, die gegen den Erlaß der Regierung gekämpft hatten, die kostenlose Milch für Schulkinder

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