Die Rattenhexe
Ich wählte sie an und hoffte darauf, daß irgendwer an den Apparat ging.
Eine seidenweiche Frauenstimme meldete sich. Sie klang von einem Anrufbeantworter und erklärte dem Gast, wie sehr sie sich über den Anruf freue. Dann bekam ich die Öffnungszeiten zu hören. Um neunzehn Uhr konnte der Gast die Bar betreten.
Ich legte wieder auf. Schlecht geschlafen hatte ich, und deshalb wollte ich mich ein wenig hinlegen. Nicht ins Bett, die Couch war für eine Ruhepause genau richtig.
Ich machte mich lang, schloß die Augen und konzentrierte mich auf die herrschende Stille in der Wohnung. Sehr bald bekam ich zu spüren, daß auch Stille einen Menschen nervös machen kann, denn Schlaf fand ich nicht. Immer wieder öffnete ich die Augen, setzte mich auf, schaute mich um, aber es huschte keine Ratte über den Teppich.
Verflucht noch mal, dieser Fall fing allmählich an, mich wahnsinnig zu machen. Der war mir unter die Haut gegangen und…
Etwas platschte!
Wasser?
Es hörte sich so an. In meinem Kopf waren die Laute zu hören, doch als ich mich umschaute, war nichts zu sehen. Da tropfte es weder aus dem Wasserhahn, noch von der Decke.
Woher kamen die Geräusche?
Ich war bereit, die neue Entwicklung anzunehmen und legte mich wieder hin. Diesmal nahm ich mir vor, die Augen geschlossen zu halten, was auch klappte.
Jetzt, wo ich mich durch nichts mehr ablenken ließ, vernahm ich die Geräusche deutlicher. Das Platschen oder Klatschen blieb. Es war sogar lauter geworden. Ich lag da und war ein Mensch, der zwar etwas hörte, aber das zugehörige Bild zu den Geräuschen einfach nicht sah. Das war schon mehr als seltsam. Ähnliche Dinge war ich gewohnt, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Deshalb ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen.
Dann veränderte sich der Geruch in meiner Umgebung. Plötzlich begann es zu stinken. Nur war es nicht der Gestank, den ich aus der Tiefgarage her kannte, er war anders. Noch fauliger, noch älter, als wäre er aus einem feuchten Grab gedrungen.
Das Klatschen und der Geruch blieben. Beides brachte mir die Botschaft aus einer möglicherweise entfernt liegenden Welt. Oder aus der Realität?
Ich kam damit nicht zurecht, nahm es hin, schloß die Augen und wartete einfach nur ab…
***
Es war ein Bild, über das andere Menschen nur hätten die Köpfe schütteln können, denn durch den Abwasserkanal schritt hochaufgerichtet eine fast nackte Frau!
Es war Senta de Fries, die durch diese Welt schritt, als wäre sie die Königin der Kloaken.
Sie hatte sich einen breiten Abwasserkanal ausgesucht, in deren Mitte sie herlief. Das braungraue Schmutzwasser umspülte und umgurgelte ihre Beine bis knapp über die Waden hinweg und spritzte auch mal hoch bis zu den Knien.
Senta fühlte sich wohl. Ihr Gesicht zeigte eine Entspannung, wie sie nur einem zufriedenen Menschen zu eigen war. Es war immer dann besonders deutlich zu sehen, wenn Senta in den Strahlbereich der Deckenleuchter geriet, die ihr schwaches Licht in die Tiefe schickten.
Wie ein Muster huschten die verschiedenen Hell- und Dunkelnuancen über den Körper der Frau hinweg.
Das Licht fiel auf die Oberfläche des strömenden Wassers. Es veränderte diesen Ausschnitt, so daß er aussah, als hätten sich blitzende Spiegelscherben auf dem Wasser verteilt.
Senta ging weiter.
Und sie ging nicht allein.
Die Ratten begleiteten sie.
Manche huschten über die schmalen Simse an den Seiten des Kanals hinweg. Andere hatten sich in die Fluten gestürzt, ließen sich von ihnen mitschleifen, tauchten sehr oft unter und nur wenig auf. Dann aber stachen ihre Schnauzen und Köpfe aus dem Wasser. Naß, verklebt und mit funkelnden Augen.
Die Strömung schleuderte die Körper gegen die nackten Beine der Frau oder knapp daran vorbei. Die Berührungen quittierte die Frau mit einem Lächeln, denn die Ratten waren ihre besten Freunde.
Die Haltung der Frau verriet Stolz. Das hellblonde Haar war naß geworden. Der feuchte Film lag wie Spray auf den Strähnen. Bei jedem Schritt wippten nicht nur die schwarzen Ringe an den Ohren, sondern auch die straffen Brüste mit den nach oben gerichteten Warzen. Auch über die helle Haut der Frau rannen Wassertropfen, und nur ein pechschwarzer Tanga bedeckte die Scham.
Das war Sentas Welt. Sie fühlte sich wohl. Hier regierte sie. Die Tiere waren ihr zu Diensten. Sie gehorchten, ohne daß sie etwas sagen mußte. Die Befehle gab sie per Gedankenkraft.
Die Arme schlenkerten bei jedem Schritt. Manchmal erreichte auch das
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