Die Rattenhexe
Spritzwasser ihre Fingerspitzen, und der widerliche Gestank in der Umgebung störte sie nicht.
Das Ziel war nicht weit entfernt. Sie hatte es sorgfältig ausgewählt und sich dort so etwas Ähnliches wie einen Thron errichtet, auf dem sie nur zu gern saß.
Da kommunizierte sie mit den Ratten. Da gab sie ihnen Anweisungen und Befehle, denen die Tiere widerspruchslos gehorchten, als hätten sie sich nach einer Königin gesehnt.
Nur sie kannte das Versteck. Nicht mal der Chef der Bar wußte davon.
Wenn er sie fragte, wo sie gewesen war, lächelte sie nur geheimnisvoll und erklärte ihm, daß sie die frische Luft eingeatmet hatte, was immer es auch sein mochte.
Trotzdem mußte sie sich vorsehen. Jake Holland, ihr Boß, war in der letzten Zeit ziemlich komisch gewesen.
Er hatte auch ungewöhnliche Fragen gestellt und des öfteren mit Slatko, seinem Leibwächter, zusammengehockt. Slatko kam aus Serbien. Er hatte dort während des Krieges fliehen müssen, weil er einer der besonders grausamen Menschen gewesen war. Er war sogar noch stolz darauf, nicht zu wissen, wie viele Tote auf sein Konto gingen. Und so etwas kam einem Mann wie Holland entgegen, denn im Nachtclub-Geschäft ging es nicht immer sanft zu. Da flogen auch schon mal die Fetzen. Senta kannte Slatko.
Nicht, daß sie vor ihm Angst gehabt hätte, auch wenn er ihren Körper stets betrachtete, als wollte er sie jeden Moment vergewaltigen, nein, sie störte etwas anderes. Es war dieser Hauch von Gewalt, der ihn umschwebte. Als hätte sich das Blut seiner Opfer wie ein Geruchsstoff in seiner Kleidung festgesetzt, und das mochte sie nicht.
Außerdem war er schon des öfteren hinter ihr hergeschlichen.
Möglicherweise hatte sie der Kerl mit den in die Stirn gekämmten Haaren sogar bei dem Treffen mit John Sinclair beobachtet. Sicher war sich Senta nicht, aber sie mußte damit rechnen.
Jake Holland hatte sie auf ihre Beobachtungen nicht angesprochen. Das brachte nichts, weil Holland sowieso alles abgestritten hätte. Er ließ auf Slatko nichts kommen. Umgekehrt war es ebenso. Zudem verstand er noch immer nicht, wie es Senta überhaupt möglich war, fast jeden Abend einen derartig irren Auftritt zu gestalten. Er hatte es hingenommen und freute sich darüber, daß Senta Menschen anzog.
Der Hauptkanal endete an einer Kreuzung. Die Umgebung sah aus wie ein nasses Gewölbe. Die Decke schimmerte feucht. Stinkende Tropfen fielen nach unten. Um Senta herum kochte das Dreckwasser. Nicht nur, weil von den beiden Seitenkanälen die Fluten herbeiströmten, es lag auch an den Ratten, die sie umwirbelten und versuchten, an ihr hochzuspringen, aber auf der nassen Haut abrutschten. Sie wandte sich nach rechts.
Der Kanal war eng wie ein Schlauch. Es gab keine Wege rechts und links. Die Flut wurde von den Wänden zusammengedrückt und strömte noch schneller durch das Bett. Die Füße der Frau wateten durch Schlamm und Unrat. Der Gestank hatte sich verdichtet, aber sie roch ihn nicht. Nur wenige Schritte mußte sie in den Gang hineintauchen, um sich dann nach rechts zu wenden, wo sich in der Wand eine Nische befand, die beinahe so aussah wie eine Spitzbogentür. Ein Gitter verschloß die Nische. Aber für Senta war es kein Problem. Sie drückte es einfach auf, ging drei Stufen einer vom Wasser überspülten Treppe hoch, stand dann auf dem Trockenen, wobei der Boden dennoch naß war und beklebt mit einer dicken Schmutzschicht.
Am Ende der Nische lag ihr Ziel. Sie war dort breiter geworden. Es gab genügend Freiraum für einen Sitzplatz, einen etwas breiten Hocker, auf dem man besser kniete als saß, denn dafür war er einfach nicht hoch genug.
Senta de Fries kniete sich hin.
Die Ratten waren ihr gefolgt. Vor ihr, aber auch rechts und links ballten sie sich zu zuckenden Klumpen zusammen, denn jedes Tier wollte so nahe wie möglich an seine Königin heran.
Senta lächelte. Dann schloß sie die Augen. Danach winkelte sie die Arme an.
Es war ihre Haltung. Ihre Meditation. Ihr Beten zu einer anderen Macht.
Als hätten die Ratten einen Befehl bekommen, so veränderte sich ihr Gehabe schlagartig.
Sie waren still.
Bewegungslos hockten sie vor ihrer Königin und schauten sie an…
Ich lag auf der Couch, wußte nicht so richtig, ob ich wach war oder schlief, hielt die Augen halb geschlossen und konzentrierte mich auf das, was ich nicht sah, aber hörte.
Geräusche in den Ohren.
Gerüche in der Nase.
Eine gesamte, nicht sichtbare Welt lief vor meinen Augen ab wie ein Film ohne
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