Die Rattenhexe
Dingen. Mal ist sie ein Tier, mal ist sie ein Mensch. Sie sucht sich ihre Freunde auf beiden Seiten.« Er nickte. »Ich hoffe, Sie werden Senta in Ruhe lassen. Auch in Ihrem eigenen Interesse.«
»Wir werden sehen«, erwiderte ich vieldeutig. Dann schaute ich zu, wie er vom Hocker rutschte, denn er mußte seinem Job nachgehen. Er ließ sich ein schnurloses Mikro geben, trat damit vor die Käfigtür und winkte mit beiden Händen.
Ich konnte an Holland vorbeischauen. Die Ratten und auch Senta hockten noch immer zusammen. Die Frau hatte sich nach vorn gebeugt, und die Ratten umgaben sie wie ein dichter, zuckender Pelz, als sollte der nackte Körper gewärmt werden. Unablässig streichelte und liebkoste sie die Tiere. Ich kam damit nicht zurecht. Das war einfach nicht normal.
Das hatte doch nichts mit Tierliebe zu tun. Hier lief etwas ab, das einen sehr tiefen Hintergrund haben mußte.
»Ruhe, bitte – Ruhe!« Holland sprach in das Mikro. Seine Stimme war in jedem Winkel der Bar zu hören, und die Gäste folgten ihm. Ihre Gespräche verstummten. »Was Sie hier gesehen haben, war etwas Außergewöhnliches. Es ist einmalig auf der Erde. Mensch und Tier haben eine Symbiose gebildet, wie man sie mit Worten nicht erklären kann. Dieses Erlebnis ist einzigartig, es ist ebenso einzigartig wie Senta de Fries. Und deshalb bitte ich um einen riesigen Beifall…« Er schwieg, drehte sich, öffnete die Tür von außen.
Während der Applaus wie eine Woge durch die Bar brandete, erwachte auch Senta de Fries aus ihrer Erstarrung. Sie stemmte sich in die Höhe.
Die Ratten, die bisher noch auf ihren Armen gehockt hatten, rutschten nach unten, und Senta kam mir ein wenig durcheinander vor. Sie wirkte nicht mehr so sicher, sondern matt und erschöpft. Das aber änderte sich, als sie stand, auf Holland schaute, der ihr Beifall spendete, und sie dann ihren Käfig verließ.
Die Tür stand weit offen. Sie konnte bequem hindurchgehen. Ich bekam mit, wie Shao meinem Freund Suko etwas zuflüsterte. Der nickte, aber erleichtert sah er nicht aus.
Etwas mußte die beiden stören, und auch mich hätte jetzt niemand zum Lachen bringen können.
Jake Holland erwartete seine Freundin. Senta wußte genau, was sie zu tun hatte. Es kam mir vor wie ein Ritual und überhaupt nicht spontan, wie beide sich umarmten und sich gegenseitig auf die Wangen küßten. Sie klammerte sich an Holland fest und mußte ihm wohl etwas gesagt haben, das ihm nicht gefallen hatte, denn er zuckte zurück. Beim zweiten Versuch erst gelang es ihm, aus der Umklammerung freizukommen.
Etwas stimmte nicht.
Ich rutschte vom Hocker.
Senta aber riß die Arme halb hoch. Sie ballte die Hände zu Fäusten.
Gleichzeitig öffnete sie den Mund, und im nächsten Augenblick verließ ein irrer, schriller und disharmonischer Schrei ihre Kehle, der in höchsten Tönen durch die Bar sirrte.
Diesen Schrei stieß kein normaler Mensch aus. Er war so fremd – und tierisch.
Er galt auch den Ratten, denn sie verließen den Käfig. Nur nicht so gesittet wie auf dem Hinweg, denn jetzt hatten sie freie Bahn auf die Menschen.
Und sie waren hungrig, sehr hungrig…
***
Slatko kam sich vor wie Orpheus, der die normale Welt verlassen hatte und nun in die Unterwelt gestiegen war, um dieses Gebiet zu erkunden.
Sein Boß hatte ihn geschickt. Es war ein Weg, den er kannte. Slatko wußte, daß dieser Weg auch von Senta und ihren Ratten genommen wurde, aber er kannte das Geheimnis noch immer nicht, und auch der Boß wußte nicht Bescheid.
Das wurmte ihn.
Sosehr er sich auch mit Senta vergnügte und sie mit ihm, das letzte Geheimnis hatte sie ihm nie offenbart. Sie war des öfteren plötzlich verschwunden gewesen und erst sehr viel später wieder zum Vorschein gekommen, umweht von einem Geruch der Kloaken.
Er stand noch auf der Leiter, schaute in die Tiefe, holte durch die Nase Luft und sprang.
Unter ihm hatte die Pfütze ölig geschimmert. Mit beiden Beinen landete er im Wasser, das hoch aufspritzte. Einige Tropfen fielen auf ihn zurück, und er strömte einen entsprechenden Geruch aus.
Das war ihm egal.
Der Killer holte seine Taschenlampe hervor. Es war ein sehr lichtstarkes Gerät, dessen heller Strahl die Finsternis zerschnitt und all den Schmutz in dieser Umgebung sichtbar werden ließ.
Schmutz, Wasser, Dreck. Die Geräusche waren immer da. Da schäumte und gurgelte das Wasser durch die Kanäle. Ihr Gestank erreichte seine Nasenlöcher, die anfingen zu jucken. Es war wie immer, und es
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