Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
Armen, setzte sich hin und lehnte sich gegen den Felsen. Elea schmiegte sich zusammengekauert an ihn. Ihr Bruder wartete darauf, dass ihr Verstand die Wahrheit einräumte. Als ihre Tränen langsam versiegten, setzte Ceban zu einer Geschichte an:
»Fast vierhundert Jahre lang lebte es nur in blutrünstigen Gedanken und im Hass auf alle, die in sein Revier eindrangen. Wohl alle glaubten, dass das Ungeheuer des Verbotenen Waldes nicht zu retten sei, und dennoch besuchten die Feen es eines Tages. Sie boten ihm an, seine menschliche Gestalt zurückzugewinnen, wenn es sich im Gegenzug darum kümmern würde, eine kleine Prinzessin zu entführen und großzuziehen, um aus ihr eine Kriegerin zu machen, die fähig wäre, ihrem Land den Frieden zurückzubringen … Das Ungeheuer nahm natürlich an. Es war weit gereist und kannte alle erfahrenen Leute, die in der Lage sein würden, ihm bei der Unterweisung des Mädchens im Waffenhandwerk zu helfen. Aber wie erstaunt es doch war, als es sich mit einem Säugling auf den Armen wiederfand! Obwohl es die Welten in- und auswendig kannte, hatte das Ungeheuer nicht die leiseste Ahnung, wie man sich um ein Wickelkind kümmerte!«
Elea war still geworden. Den Blick ins Leere gerichtet lauschte sie der Geschichte, die man ihr schon seit ihrer Kindheit erzählte.
»Das Verschwinden der kleinen Prinzessin von der Königsburg hatte viele Folgen. Männer, die noch ruchloser waren als das Ungeheuer selbst, begannen, alle Kinder des Königreichs zu ermorden, um die Prinzessin wiederzufinden. Eine Spitzenklöpplerin, die gerade entbunden hatte, floh mit ihrem kleinen, wenige Tage alten Sohn und ihrem Töchterchen in die Wälder. Ihr Mann kam bei dem Versuch, sie zu beschützen, ums Leben. Die bösen Männer verfolgten sie bis an die Brücke-ohne-Wiederkehr. Sie glaubte, verloren zu sein, und wusste nicht, welchen Tod sie vorziehen sollte, aber ihr Herz verspürte eine Hoffnung. Sie überschritt die Grenze des Verbotenen Waldes.«
Sacht strich Ceban Victoria die gelösten Haare aus dem noch feuchten Gesicht. Als er sah, dass sie ruhig war, zog er sie an seine Lederweste:
»Das Ungeheuer erschien und wollte sie, wie es seiner Gewohnheit entsprach, unbarmherzig töten – aber dann sah es die Kinder. Es begriff, dass die Frau ihm helfen konnte, die kleine Prinzessin zu ernähren und großzuziehen, bis sie sechs Jahre alt war, damit es sie in die Welten mitnehmen und ihr die Kampfkunst beibringen konnte … Auf diese Weise blieb die Frau am Leben, und die kleine Prinzessin bekam eine neue Familie. Sechs Jahre lang galten der Sohn dieser Frau und die kleine Prinzessin als Zwillinge. Die Liebe Mama …«
Elea schloss bei dieser Bezeichnung die Augen. Sie hatte sie so geliebt!
»… hatte den einen so lieb wie die andere. Die große Schwester der beiden fand einen neuen Vornamen für die kleine Prinzessin, denn ihre Identität musste stets ein Geheimnis bleiben, und sogar das Monster wusste am Ende ihre Gesellschaft zu schätzen. Aber es konnte nicht lieben. Die kleine Prinzessin war aber sehr hübsch und reizend. Sie verehrte dieses Ungeheuer und betrachtete es als ihren Vater, doch es zeigte keinerlei Gefühl. Um von ihm geliebt zu werden hätte sie alles Mögliche getan. Und sie tat etwas Unsinniges.«
Elea zog die Nase hoch und ergriff melancholisch selbst das Wort:
»Eines Morgens, als sie gerade fünf Jahre alt war, lief sie davon. Sie rannte einfach nach Süden und verbrachte drei Tage im Wald … Angst hatte sie keine, denn das Ungeheuer hatte ihr gesagt, dass sie zum Wald gehörte. Sie ging in die Dunklen Wälder, um die Liebe einer Amalyse zu gewinnen. Als sie das Ungeheuer eines Tages gefragt hatte, ob es sie lieb hätte, hatte das Ungeheuer geantwortet, dass es wie diese Pflanze sei: Es tötete zum Vergnügen und aus Hass. Nur wenn eines Tages auch eine Amalyse lieben könnte, würde es Liebe empfinden. Die kleine Prinzessin wusste nur eines: Sie durfte den Pflanzen nichts zuleide tun, sonst würde sie auf der Stelle sterben. Also setzte sie sich neben eine Mörderpflanze, sang und sprach den ganzen Tag lang mit ihr. Allmählich bemerkte sie, wie sich der Schimmer ihren Empfindungen entsprechend veränderte. Sie wünschte sich aus tiefstem Herzen, dass die Pflanze zu ihr kommen sollte, ohne ihr wehzutun, um ihr zu beweisen, dass sie nur aus Hass tötete – und die Amalyse bewegte sich.«
»Triumphierend kehrte sie nach sechs Tagen Abwesenheit zurück«, nahm Ceban den Faden auf.
Weitere Kostenlose Bücher