Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
hätte.
Eline schenkte ihrer Schwester all ihre Kraft. Sie hatte zwei Tage lang nichts gegessen, aber Elisas Erwachen und die Angst, die sie vor Korta empfand, hätten ausgereicht, sie Berge versetzen zu lassen. Es erschien ihr seltsam, dass die Gänge und Treppen derart verlassen waren. Da ertönte ein Klappern von Sandalen auf dem Felsboden. In einem dunklen Winkel an die Wand geschmiegt sahen die beiden fliehenden Prinzessinnen zu, wie drei Kolosse zielstrebig vorübergingen. Elisas Albtraum wurde immer schlimmer. Dann setzten sie ihren Weg fort, um zehn Schritte weiter in einer Nische stehen zu bleiben und noch fünf Kolosse vorbeizulassen. Die Vielzahl an abscheulichen Gestalten deutete ohne jeden Zweifel darauf hin, dass sie auf dem richtigen Weg waren.
Elisa sah sich alles an und versuchte, eine logische Erklärung für das Unverständliche zu finden. Sie war am Abend sehr ermattet von ihrem langen Tag schlafen gegangen. Ihr Vater war, obwohl er sich so sonderbar wie immer verhalten hatte, bei guter Gesundheit gewesen. Sie erinnerte sich sogar ganz genau, dass Eline die Haare zu Schnecken aufgesteckt gehabt und das grüne, silberdurchwirkte Kleid getragen hatte, das der König ihr einige Tage zuvor zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Einige Schleier hatten ihr Gesicht verborgen, doch Elisa hatte gewusst, dass sie gelächelt hatte. Auch der Herzog von Alekant war da gewesen und hatte ihr freundlich gute Nacht gewünscht.
Dieser ganze mühsame Lauf durch die übelriechenden Höhlen konnte nichts als ein Albtraum sein, und das Glockengeläut nur der Widerhall ihrer Angst um einen Vater, den sie zärtlich liebte. Doch die Abfolge der Ereignisse seit ihrem Erwachen hatte nichts von der Wirrnis der Träume an sich. Die Orte folgten ohne abrupte Veränderungen aufeinander, Eline redete immer noch ermutigend auf sie ein. Hinter ihr war kein Ungeheuer, dessen Gesicht sich jedes Mal wandelte, wenn sie einen Blick über die Schulter warf. Und außerdem taten Elisa die Beine wirklich sehr weh, und dieser Schmerz gehörte in die Wirklichkeit.
Als gerade eine Gruppe von drei Männern mit olivfarbener Haut an ihnen vorbeigekommen war, brach Elisa zusammen. Sie hatte nicht die Kraft weiterzugehen und begann zu weinen.
»Eline, erklär mir das alles, bitte! Ich verliere den Verstand! Wo sind wir? Was machen wir hier? Was geht vor? Wohin laufen wir? Warum tragen wir keine Schleier? Und… Und… hörst du die Glocken, wie ich?«
Sie hatte den Finger an der feuchten Felswand entlanggleiten lassen. Der weite Morgenmantel war aufgeklafft und enthüllte nackte, eiskalte Beine. Eline wollte loslaufen, aber die Verzweiflung ihrer Schwester zwang sie, ihre Bedürfnisse hintanzustellen. Als sie sich über Elisa beugte, sagte diese ihr mit überschnappender Stimme: »Sogar dich erkenne ich kaum! Ich habe den Eindruck, dass du älter geworden bist.«
Elines Lippen zitterten. Sie war sich noch nicht bewusst geworden, dass für ihre Schwester keine Zeit vergangen war.
»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen«, verkündete sie und packte sie mutig bei den Schultern.
Sie hielt kurz inne und spitzte beunruhigt die Ohren.
»Ich bin nicht mehr fünfzehn, sondern einundzwanzig Jahre alt. Der Herzog von Alekant hatte dich vergiftet; du hast ganze sechs Jahre lang geschlafen.«
Elisa riss angesichts dieser schonungslosen Eröffnung die Augen auf. Eline brach ab und schmiegte sich noch enger an ihre Schwester, um schweigend weitere Schläger vorbeizulassen.
»Es ist viel geschehen, und ich habe nicht die Zeit, dir alles zu erklären«, fuhr sie fort. »Wir sind in Gefahr. Wir müssen von der Burg fliehen. Und…«
Sie senkte den Blick zum Boden, so dass ihr ganzes Gesicht von Schatten verhüllt war.
»…Vater ist wirklich gestern Abend gestorben, als er den Herzog von Alekant töten wollte.«
Elisa schüttelte den Kopf, um diese Worte abzuwehren.
»Der Herzog ist unser Freund!«
»Nein, Elisa, der Herzog ist unser ärgster Feind. Komm.«
Aber sie hatte sich kaum aufgerichtet, als der fahle Fackelschein von einer gewaltigen Masse vor ihr verdunkelt wurde. Einer der Kolosse hatte sie entdeckt. Angesichts seiner kleinen, drohend blickenden Rattenaugen und seines hinterhältigen Lächelns musste Eline einen Schreckensschrei unterdrücken. Nun packte er sie schon heftig am Arm. Aber ein junger Mann, der gerade erst im Stimmbruch steckte, befahl wild:
»Lass sie los, du fettes Schwein!«
Der Schläger drehte sich um: Ein
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