Die Rebellin
nach Paris reisen.«
Sie ließ den Brief zu Boden fallen. Selbst mit offenem Mund sieht sie noch hinreißend aus, dachte Marcus, und dann erst waren die Worte des Popen auch bei ihm angekommen. Vor nicht einmal einer halben Stunde hatte ihm Pappas Mavros den Auftrag erteilt Mando nach Paris zu begleiten. Warum hatte der alte Mann plötzlich seine Meinung geändert? Ihm fielen seine eigenen Worte ein, dass man nämlich vor dem Popen genauso wenig geheim halten könne wie vor Ali Pascha. Aber er war sicher, sich nicht verraten zu haben, mit keinem Blick und keiner Geste. Von Mando musste also etwas ausgegangen sein. Sicher, auch er hatte ihre Befangenheit gespürt, aber er hatte damit gerechnet.
Außerdem war er ziemlich sicher gewesen, dass sie seine Begleitung nach Paris ablehnen würde. Jetzt schien sie sogar sehr enttäuscht zu sein. Sie hatte ihn damals nicht weggestoßen! War sie ihm vielleicht gar entgegengekommen? Das hatte er bisher nicht einmal zu denken gewagt.
»Und … warum … nicht …?«, fragte Mando verloren.
»Ich weiß, dass du jetzt enttäuscht bist, Kind, aber deine Anwesenheit ist hier erforderlich.«
»Auf Tinos?!« Sie spuckte das Wort beinahe aus.
»Nein, auf Mykonos«, sagte der Pope und sprach schnell weiter: »Mykonos wird bei der Erhebung, die – das verspreche ich dir – wirklich demnächst stattfinden wird, eine strategisch wichtige Rolle spielen. Ich möchte, dass du dich vorher dort einlebst, mit den wichtigen Menschen am Ort sprichst. Unter anderem übrigens auch mit deinem Freund Jakinthos Blakaris, der bereits für die Ausstattung einiger Schiffe gesorgt hat. – Ich nehme übrigens nicht an, dass er noch als Heiratskandidat in Frage kommt?«, erkundigte er sich nebenbei.
Das war zu viel auf einmal. Erst die abgelehnte Parisreise, dann ein Umzug nach Mykonos, dann der Hinweis auf die missglückte Entführung – und alles in Gegenwart ihres außerordentlich beunruhigenden Cousins.
Mando stand langsam auf. »Entschuldigt mich«, sagte sie zu den beiden Männern, »ich muss sofort nach Hause – ich habe entsetzliche Kopfschmerzen.«
Marcus sprang auf.
»Dann ist es besser, ich begleite dich«, sagte er. »Frauen mit Kopfschmerzen fallen leicht in Ohnmacht. Sie entschuldigen mich?«, wandte er sich hastig an den Popen und griff nach Mandos Arm.
Wer stützt da wen, murmelte der Pope unhörbar, als er sah, wie durch beide Körper ein Zittern lief. Er blieb noch lange auf seinem Stuhl sitzen, nachdem das Paar das Zimmer verlassen hatte.
Es war ein verhangener Januartag gewesen, der unmerklich in den Abend überging. Am Himmel zeigte sich der erste Stern, aber die dunkle Silhouette der Nachbarinsel Mykonos war noch sichtbar. Marcus' Hand brannte wie Feuer auf Mandos Arm, es drang durch den dicken Jackenstoff bis auf ihre Knochen und schien beide Körper miteinander zu verschmelzen. Mando sprach kein Wort, sie hatte mehr als genug damit zu tun, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Wie schwierig das Gehen ist, dachte sie verwundert, und sonst denke ich nicht einmal darüber nach. Niemand begegnete ihnen auf dem kurzen Weg und einen Augenblick lang stellte sich Mando vor, dass die Welt bis auf sie und Marcus unbewohnt wäre. Sie schrak zusammen, als plötzlich ein Hahn krähte.
»Der denkt, es ist früher Morgen«, brach Marcus das Schweigen, »da sieht man einmal wieder, wie sich die Natur irren kann.«
Irinis Haus war hell erleuchtet und laute Stimmen drangen bis auf die Straße. Mando blieb nichts anderes übrig, sie würde Marcus fragen müssen, ob er mit ins Haus kommen wollte. Aber ihr graute vor der Geselligkeit in der Wohnstube, vor dem vorwurfsvollen Blick ihrer Mutter, der Besorgtheit der Glucke Irini, vor den weisen Sprüchen Antonis' und den neugierigen Blicken Vassilikis. Sie wollte den Moment hinauszögern.
Ihr Blick fiel auf die Stalltür, die nicht richtig geschlossen worden war und im Wind leise klapperte. Als sie sie zuziehen wollte, spürte sie plötzlich Marcus' Hand auf der ihren. Langsam schob er Mando in den Stall und schloss dann erst die Tür.
Es war stockfinster im Stall und eines der Pferde wieherte leicht, als sich Mando an ihm vorbeidrückte. Sie kannte ihren Weg im Dunkeln, huschte die Steintreppe hinauf, die am Ende des Stalls ins Wohnhaus führte, und blieb auf dem oberen Absatz stehen.
»Mando?«, hörte sie Marcus leise fragen, der sich an der Wand entlangtastete. »Komm zu mir.«
Sie bot ihre gesamte Willenskraft auf.
»Nicht
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