Die Rebellin
jetzt und nicht hier«, erwiderte sie mit fester Stimme, öffnete die Holztür und verschwand im Inneren des Hauses.
Er suchte Halt an einer Kutsche und krümmte sich, als hätte ihm jemand die Faust in die Magengrube geschlagen. Dann richtete er sich auf, verließ den Stall und lief noch lange ziellos durch die Gassen von Tinos, ehe er in das Haus von Pappas Mavros zurückkehrte.
Mando schaffte es nur noch, die Tür zu schließen, rutschte dann zitternd an ihr hinab auf die Holzdielen und begann leise zu weinen. So fand sie Vassiliki.
»Mein Püppchen!«, rief die Dienerin betroffen. »Was ist denn passiert?«
Mando streckte nur die Arme aus.
Vassiliki hockte sich neben sie, nahm sie in die Arme, wiegte sie, so wie sie es mit dem kleinen Mädchen vor vielen Jahren getan hatte und murmelte ihr tröstende Worte ins Ohr. Die wärmende Nähe der vertrauten Dienerin vertrieb das Zittern und allmählich ebbte auch das Schluchzen ab. Sacht stellte Vassiliki Mando auf die Füße, nahm sie bei der Hand und ging mit ihr in die kleine Küche. Sie wusste, dass die beiden Köchinnen zusammen mit der Zofe, dem Kutscher und Irinis Magd in der großen Küche die neuesten Klatschgeschichten austauschten.
Sie drückte Mando ein Glas Wasser in die Hand.
»Willst du morgen wirklich mit nach Paros fahren?«, erkundigte sie sich.
»Paros?«, fragte Mando verwirrt, dann fiel es ihr wieder ein, und sie vergaß einen Augenblick lang, dass sie sich selber um die Wonnen gebracht hatte, die ihre Träume beherrschten.
Natürlich, morgen jährte sich der Todestag ihres Vaters zum dritten Mal und aus diesem Anlass würden seine Knochen ausgegraben werden. Erst wenn der Kopf frei von Haaren und der Körper frei vom Fleisch war, wüsste man mit Sicherheit, dass Nikolaos Mavrojenous ins Himmelreich gekommen war. Unreine Knochen waren der untrügliche Beweis, dass die Sünden des Verstorbenen noch an ihm klebten und er in einem Zwischenreich für sie büßen musste. Womöglich wanderte er dann noch als Geist im Reich der Lebenden umher. Mando hatte das Ritual des Knochenausgrabens schon zweimal miterlebt, aber noch nie bei einem Menschen, der ihr so nahe gestanden hatte. Vassiliki wusste, wie ihr vor der Ausgrabung graute.
»Du musst nicht aus seinem Schädel trinken«, versuchte die Dienerin sie zu beruhigen. »Dein Vater wird zeit seines Lebens nie einen Fluch über dich verhängt haben.«
Sofort stellte sich Mando vor, wie alle Anwesenden im Kreis um das Grab standen und der mit Wein gefüllte Schädel von Hand zu Hand gereicht wurde, während der Pappas heilige Worte sang und diejenigen, denen einst Flüche des Vaters gegolten hatten, nun von diesen befreit wurden. Vielleicht sogar der oder die Mörder ihres Vaters.
Da sie inzwischen wusste, welch wichtige Rolle Nikolaos Mavrojenous in der Hetärie gespielt hatte, war sie jetzt auch davon überzeugt, dass er ermordet worden war. Entweder von einem Abgesandten des Sultans – einen Moment sah sie wieder Hussein Pascha vor sich – seltsam, dass er zum Zeitpunkt des Todes auf Paros geweilt hatte und sogar zur Beisetzung gekommen war – oder von einem Intriganten aus den eigenen Reihen. Immer wieder hatte sich Pappas Mavros in den vergangenen Jahren besorgt darüber geäußert, wie uneinig sich die Mitglieder der Hetärie über die Zukunft eines befreiten Griechenlands seien und dass es zum Bruderkrieg kommen könnte, wenn erst die Türken geschlagen waren. War ihr Vater Opfer eines Zwists geworden? Irgendwann werde ich das herausbekommen, dachte sie. Ich werde die Mörder meines Vaters finden!
»Sag Mama, dass ich krank bin und nicht mitfahren kann«, entschied sie jetzt.
»Wirst du hier auch allein zurechtkommen?«, fragte Vassiliki. »Ich werde nämlich deine Mutter und Irini begleiten.«
Es kostete Pappas Mavros viel Überzeugungskraft, Zakarati dazu zu bewegen, mit Mando nach Mykonos überzusiedeln.
»Du solltest dich freuen auf deine Heimatinsel zurückzukehren«, meinte er. »Dort leben immerhin die meisten unserer Verwandten.«
»Mein Zuhause ist, wo meine Enkel sind«, erwiderte Zakarati stur.
»Es sind nicht nur deine Enkel«, bemerkte Pappas Mavros und wusste, dass er einen wunden Punkt berührt hatte. Die beiden Großmütter hassten einander, gifteten sich an, wetteiferten um die Gunst der vier Kinder und beschwerten sich bei Irini übereinander. Irini bereute es inzwischen, Mutter und Schwester gebeten zu haben zu ihnen zu ziehen, denn Zakarati war ihr im Kampf
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