Die Rebellin
Lesens und Schreibens anzueignen.
Dimitri fand das nicht ganz ungefährlich, meinte aber, dass man später über die Ausbildung der Volksmassen nachdenken und Schulen und Universitäten für die einfachen Bürger errichten könne – so wie er es im Staat des inzwischen ermordeten Ali Pascha gesehen hatte. Nicht, dass er viele gute Worte für den einstigen Räuberhauptmann übrig hatte, aber dieser Mann hatte zumindest versucht Kultur einer breiten Masse zugänglich zu machen – und nicht nur so entzückenden Damen wie Mando Mavrojenous.
»Meine angebetete Teure, ich halte es mit Shakespeare, dass es nämlich mehr Dinge im Himmel und auf Erden gibt, als sich unsre Schulweisheit träumen lässt«, meinte Ypsilanti jetzt, »und daher kann es nicht schaden, wenn du den Vorschlag machst deine Schwester zu dieser Ikone zu bringen.«
Mando nickte nachgiebig. Bald würde sie Ypsilanti von Irinis wundersamer Heilung berichten.
Der Prinz flehte sie an, sich nicht den Gefahren des Meeres auszusetzen, und nachdem er die Zusicherung hatte, dass sie in Nauplia für die Genesung der Schwester beten würde, brachte er das Gespräch auf ein anderes Thema.
»Die Admirale Miaulis und Tombasis sind in der Stadt und ich möchte ihnen am 11. Mai ein Bankett geben«, sagte er, »könntest du dabei als Gastgeberin in Erscheinung treten?«
Mandos Augen leuchteten und einen Augenblick lang vergaß sie ihren Kummer.
»Was soll ich anziehen?«, fragte sie kokett und überlegte, ob das fliederfarbene Kleid, das Vassiliki mitgebracht hatte, angemessen wäre.
»Lass dir ein Gewand schneidern, das deine Schönheit noch mehr zum Strahlen bringt«, erklärte Dimitri und überreichte ihr ein kleines Beutelchen mit Geld. »Ich bin so stolz auf dich und ich möchte, dass mich an diesem Abend jeder Mann um mein Glück beneidet!«
Wie dumm Männer doch waren! Als ob ihr eine Schneiderin innerhalb von zwei Tagen ein Traumgewand herzaubern könnte! Das fliederfarbene Kleid würde seinen Zweck erfüllen und sie brauchte sich in den nächsten Tagen über ihre Ausgaben kein Kopfzerbrechen mehr zu machen.
Da ihr allerdings bewusst war, dass sie mit Dimitris milder Gabe keine großen Sprünge würde machen können, suchte sie am nächsten Morgen das Büro auf, das ihr genannt worden war, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Diesmal ließ sie sich nicht von dem Beamten abfertigen, der ihr eine Heirat als Ausweg empfohlen hatte, sondern bestand als Verlobte von Dimitri Ypsilanti und als Generalleutnant Mando Mavrojenous darauf, sofort mit dem zuständigen Herrn zu sprechen.
Dieser erwies sich als ein dicker, gemütlicher Mann, der sie in aller Form begrüßte, ihr eine Tasse Kaffee servieren ließ, sich dann zurücklehnte und offensichtlich nachdenklich die Augen schloss, als sie ihm ihre Geschichte erzählte.
Sie legte den Schuldschein von Mykonos auf seinen Schreibtisch, zählte ihm auf, wie viele Millionen Grossia sie persönlich zur Befreiung des Vaterlandes aufgewendet hatte, und erwähnte nebenbei, dass sie auch Leib und Leben Gefahren ausgesetzt habe. Ausführlich berichtete sie von ihrer Mission, türkisches Unheil von Mykonos abzuwenden, schilderte in den lebhaftesten Farben die Kampfesszenen in Euböa und schloss damit, dass sie nur noch das besitze, was sie am Leibe trage.
»Ich sehe ein, dass die griechische Regierung noch nicht über die Mittel verfügt, mir alle meine Ausgaben zurückzuerstatten. Daher bitte ich nur um genug Geld, damit ich einigermaßen standesgemäß leben und meine Diener bezahlen kann. Außerdem ist es sicherlich nicht zu viel verlangt mir ein bewohnbares Haus zur Verfügung zu stellen, finden Sie nicht auch?«, schloss sie und wartete auf eine Antwort.
Die Stille im Raum wurde nur durch das regelmäßige Schnarchen des Herrn gestört.
Mando schlug mit der Faust auf den Schreibtisch.
»Was wünschen Sie?«, fragte der so unsanft aus dem Schlaf geschreckte Herr verwirrt.
»Ein Haus!«, donnerte Mando. »Ein Haus, in dem ich menschenwürdig leben kann!«
»Mit welcher Begründung?«
Der kleine Beamte aus dem Vorzimmer trat ein und verbeugte sich leicht vor Mando.
»Mir ist Anweisung gegeben worden Ihnen ein Haus zur Verfügung zu stellen«, sagte er höflich.
»Von wem?«
»Von oben«, erwiderte er und schüttelte den Kopf, als Mando ihm den Schuldschein aus Mykonos vor die Nase hielt.
»Da kann ich leider nichts machen. Das müssen Sie mit dem Ältestenrat von Mykonos klären.«
»Ist die
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