Die Rebellion der Maddie Freeman - Kacvinsky, K: Rebellion der Maddie Freeman - Awaken
duschen«, ließ ich ihn wissen.
Er zuckte mit den Schultern und versenkte die Hände in den Hosentaschen. »Ich kann warten.«
Meine Mutter hatte nichts dagegen, ihm so lange Gesellschaft zu leisten. Sie behandelte ihn wie ein lange verschollenes Familienmitglied, hakte sich bei ihm ein und führte ihn in die Küche. Währenddessen rannte ich nach oben, um mich in Rekordgeschwindigkeit zu duschen. Ich cremte mich mit einer blumig duftenden Lotion ein, die Mom mir gekauft hatte und die ich sonst fast nie benutzte. Aber heute schien eine passende Gelegenheit zu sein. Dann schlüpfte ich in eine Jeans und ein langärmeliges blaues Shirt und bürstete mir die Haare, bis sie seidig glatt waren. Ich zog eine grüne Jacke über und warf einen hastigen Blick in den Spiegel, von wo mir ein strahlendes Gesicht mit geröteten Wangen entgegenschaute. Einen Moment lang erkannte ich mich gar nicht wieder. Das Mädchen im Spiegel sah so viel lebendiger aus als sonst. Ich glühte förmlich und meine Augen strahlten.
Schnell rannte ich die Treppe hinunter und entdeckte Justin am Küchentisch, wo er noch immer Baley kraulte und so entspannt aussah, als hätte er schon Dutzende von Samstagen bei mir verbracht. Er wandte mir den Kopf zu, als ich hereinkam.
»Maddie«, sagte Mom, »wusstest du, dass Justin für die Pacific Electric Company arbeitet? Er hat sogar ein Auto, falls es Notfälle in einem anderen Teil des Staates gibt.« Sie lächelte ihn an. »Sehr beeindruckend.«
Ich warf Justin einen skeptischen Blick zu, den er mit einem zögernden Lächeln beantwortete.
»Nein, darüber haben wir nie geredet«, sagte ich. Justin stand auf und fragte, ob wir los wollten. Ich nickte und verabschiedete mich von Mom, die noch immer von Ohr zu Ohr strahlte, weil Justin seit Jahren der erste Gast gewesen war, um den sie sich hatte kümmern können.
Wir spazierten in die kühle Frühlingsluft hinaus. Kleine Pfützen hatten sich auf dem Bürgersteig gebildet und ein feiner Sprühregen fiel aus dem nebeligen Himmel. Während ich neben Justin herging, zog ich den Reißverschluss meiner Jacke zu. Er hatte einen schnellen Schritt und lange Beine, aber ich konnte gut mithalten. Über uns raschelten die Plastikblätter.
Ich erzählte Justin, dass ich heute das erste Mal in einen echten Coffeeshop ging.
Er zog die Brauen zusammen. »Machst du Witze?«
»Schließlich kann man Kaffee sehr gut zu Hause kochen«, sagte ich zu meiner Verteidigung. »Also warum soll man dafür extra rausgehen?«
»Zum Beispiel, weil es geselliger ist?«
»Ich habe ständig Gesellschaft«, sagte ich, verärgert darüber, dass er mein Sozialleben in Frage stellte. Meiner Meinung nach lebte ich völlig normal.
Wir nahmen die Bahn in Richtung Süden, und als wir saßen, dachte ich über das Wort ›Geselligkeit‹ nach. Ich traf oft Onlinekontakte, um zusammen in virtuelle Coffeeshops zu gehen. Dort saßen wir dann und chatteten stundenlang. Außerdem war ich Mitglied in zwei auf Buchgruppen spezialisierten Kaffeehäusern. Solche Literaturprogramme stellten gewöhnlich eine Auswahlan vorbereiteten Fragen zur Verfügung, die man sich gegenseitig beantworten konnte, sodass nie ein peinliches Schweigen entstand. Die Wandschirme projizierten täuschend echte 3D-Bilder und es sah aus, als würden die anderen Leute tatsächlich im selben Raum sitzen wie ich. Wir unterhielten uns und ich konnte ihre Stimmen hören. War das etwa kein Sozialleben?
Die ganze Bahnfahrt hindurch löcherte Justin mich mit Fragen über meine Eltern. Er wollte wissen, wie lange sie schon verheiratet waren, ob ich gut mit ihnen auskam, was für ein Typ mein Bruder war und ob unsere Familie schon immer in Corvallis gewohnt hatte. Mein Leben kam ihm anscheinend sehr interessant vor, dabei fand ich meine Antworten nur allzu gewöhnlich. Mein älterer Bruder Joe arbeitete für eine Softwarefirma in Los Angeles. Er war mit achtzehn von zu Hause ausgezogen, um dort als Trainee anzufangen, während er sich gleichzeitig im DS-College zum Ingenieur ausbildete. Inzwischen sah ich ihn kaum noch. Meine Eltern waren seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet und versorgten mich mit allem, was ich mir nur wünschen konnte. Wir hatten einen Garten, einen Hund, eine dreistöckige Villa mit schiefergrauer Fassade und ein Solardach … das perfekte Familienleben wie auf einem Werbefoto.
»Wohnst du noch bei deinen Eltern?«, fragte ich. Justin schüttelte den Kopf und ich ordnete gedanklich meinen wachsenden
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