Die Rebellion
Dram, und das in jeder denkbaren
Hinsicht. Er besaß lediglich nicht Drams Erinnerungen. Der
Klon hatte nur Zugriff auf seine aufgezeichnete Geschichte,
einschließlich einiger Dinge, die selbst Löwenstein nicht wußte.
»Argus«, sagte er leise. »Melde dich.«
»Zur Stelle, Sir«, erwiderte seine persönliche KI. Die warme,
angenehme Stimme schien aus jeder Ecke des Zimmers gleichzeitig zu ertönen – ein Umstand, an den Dram sich noch immer
nicht gewöhnen konnte.
»Öffne das Tagebuch meines Vorgängers«, befahl Dram.
»Ich habe neue Fragen.«
Der echte Dram hatte den Verdacht gehabt, daß er eines Tages das Vertrauen der Eisernen Hexe verlieren oder sonstwie in
Ungnade fallen könnte. Und wenn man bedachte, wieviel er
über ihre privaten Vorlieben und Pläne wußte, würde sein Sturz
ohne Zweifel zu einer raschen Exekution geführt haben. Und er
war fest davon überzeugt gewesen, daß sie ihn anschließend
klonen würde. Jedenfalls wäre es das gewesen, was er an ihrer
Stelle getan hätte. Also hatte der echte Dram all seine geheimen Gedanken und Pläne in einer Tagebuchdatei tief in den
Speichern seiner persönlichen KI versteckt – zusammen mit
dem Befehl an Argus, seinen Klon zu informieren und zu instruieren, so daß seine Arbeit weitergehen konnte.
Der echte Dram hatte auch einen Plan, wie er seinen Tod rächen würde. Löwenstein war mit größter Wahrscheinlichkeit
seine Mörderin, doch er hatte auch zahlreiche andere Feinde
besessen. Das elektronische Tagebuch enthielt erschöpfende
Ausführungen über Stärken und Schwächen all seiner Gegner,
zusammen mit Vorschlägen, wie man sie am sinnvollsten ausnutzen konnte. Unglücklicherweise hatte der Klon keine Ahnung, wann und wie der echte Dram gestorben war. Nur
Schwejksam und seine Mannschaft kannten die Fakten, und
Löwenstein hatte sie streng isoliert. Bisher hatte sie sich geweigert, auch nur eine seiner Fragen zu beantworten, aber
Dram bezweifelte nicht, daß er irgendwann die Wahrheit erfahren würde. Die Löwenstein, die er kennengelernt hatte, war
nicht annähernd so verschlagen oder intelligent, wie die Eintragungen in dem elektronischen Tagebuch glauben machten.
Außer natürlich, er übersah etwas Wichtiges.
Da er keine eigenen Erinnerungen an sein ›früheres‹ Leben
besaß, baute Drams Auftreten in der Öffentlichkeit notwendigerweise auf dem auf, was die Löwenstein ihm erzählte, und er
hatte bereits die Erfahrung gemacht, daß sie ihm längst nicht
alles erzählte. Die Dateien in Argus’ Speicher halfen ihm natürlich weiter, aber er war gezwungen, ihren Inhalt geheimzuhalten. Alles in allem fand er, daß er sich gar nicht so schlecht
anstellte.
Als Prinzgemahl der Herrscherin hatte Dram natürlich die
meiste Zeit über in ihrem Schatten gestanden und selten persönlich mit jemandem verhandeln müssen, wenn sie nicht zugegen gewesen war; trotzdem mußte er ständig auf der Hut
sein. Er durfte sich keine Fehler erlauben. Die Stimmung gegen
die Klone war schlechter als je zuvor, und er war der schlimmste Alptraum der Aristokratie: ein Klon, der eine Person in einer Machtposition ersetzte, und zwar so vollkommen, daß niemand es bemerkte. So etwas konnte jedem passieren. Und wie
konnte Löwenstein ihre Höflinge besser unter Kontrolle halten,
als wenn sie einen nach dem anderen durch Klone ersetzte? Im
Augenblick lagen die Dinge so, daß jeder, der plötzlich seine
Meinung in einer Angelegenheit änderte, und sei sie auch noch
so unbedeutend, augenblicklich eine gründliche Befragung
durch seine Standesgenossen zu erwarten hatte. Nur für den
Fall, versteht sich.
Dram hatte seinen ersten Auftritt vor dem Hof gut hinter sich
gebracht, aber jetzt, da Saint John tot war, würden seine Pflichten als Oberster Krieger ihn aus der relativen Sicherheit an der
Seite der Imperatorin herausführen und mit weitaus mehr Leuten in Kontakt bringen als zuvor. Vielleicht war es besser, jemand anderen zu befördern, um die Rolle Saint Johns einzunehmen. Dram gefiel seine Stellung als Oberster Krieger nicht
sonderlich. Und er mochte den Mann auch nicht, der er früher
gewesen war. Das Bild Drams, das er durch Löwensteins Lektionen und aus den Tagebüchern gewonnen hatte, war das eines
Mannes, der von Ehrgeiz und Blutdurst getrieben und von seinem Haß zerfressen worden war. Dram der Klon betrachtete
sich als wesentlich zivilisierter als sein Vorgänger. Welche
Mächte das Original auch immer zu solchen Extremen
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