Die rebellischen Roboter: Science-fiction-Roman
dann richtete Pris sich auf.
»Weißt du, daß deine Lippe geplatzt ist? Du solltest das lieber nähen lassen.«
Ich berührte die Lippe und stellte fest, daß sie immer noch blutete. Vielleicht hatte sie recht.
»Ich fahre dich zum Arzt«, sagte sie und ging zur Tür. »Komm schon, Louis.«
»Ich brauche keine Nähte«, sagte ich, stand aber auf und folgte ihr unsicher.
Als wir auf den Lift warteten, sagte Pris: »Du bist nicht sehr tapfer, wie?«
Ich antwortete nicht.
»Du hast schlimmer reagiert als ich, als jeder andere von uns. Ich wundere mich. In dir muß etwas viel weniger Stabiles sein, als wir alle gewußt haben. Und ich wette, daß das eines Tages bei großem Streß auftaucht. Eines Tages wirst du schwere psychologische Probleme erkennen lassen.«
Der Lift kam, und wir stiegen ein.
»Ist es so schlimm, wenn man reagiert?« fragte ich.
»In Kansas City habe ich gelernt, nicht zu reagieren, wenn es nicht in meinem Interesse lag. Das hat mich gerettet; deshalb kam ich heraus und überwand meine Krankheit. Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn man eine Reaktion zeigt; das beweist, daß man sich nicht anzupassen vermag. In Kansas City nennt man das Parataxie. Es spielt keine Rolle, ob es Haß oder Neid oder, wie bei dir, Angst ist, das ist alles Parataxie. Und wenn sie stark genug wird, ist man geistig krank. Und wenn sie einen beherrscht, hat man Hebephrenie, wie ich sie hatte. Das ist das Schlimmste.«
Ich preßte ein Taschentuch auf die Lippe. Ich konnte Pris meine Reaktion nicht erklären und versuchte es auch gar nicht. »Soll ich Sie küssen?« fragte Pris. »Und Sie gesund machen?«
»Mensch«, sagte ich verwirrt. »Das wird schon wieder.« Ich war verlegen und konnte sie nicht ansehen. Ich kam mir wieder vor wie ein kleiner Junge. »Erwachsene reden nicht so miteinander. Küssen und gesund machen – was ist das für eine dumme Ausdrucksweise?«
»Ich will dir helfen.« Ihr Mund zuckte. »Ach, Louis – es ist alles vorbei.«
»Was ist vorbei?«
»Es lebt. Ich kann es nie mehr anrühren. Was soll ich jetzt tun? Ich habe im Leben keine Aufgabe mehr.«
»Guter Gott«, sagte ich.
»Mein Leben ist leer – ich könnte ebensogut tot sein. Alles, was ich gedacht und getan habe, war der Lincoln.« Die Lifttür öffnete sich, und Pris trat hinaus ins Foyer. Ich folgte ihr. Als wir in den weißen Jaguar stiegen, sagte sie: »Sag mir, was ich tun soll, Louis. Ich muß sofort etwas tun.«
»Du kommst schon über die Depression hinweg«, sagte ich hilflos.
»Ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt.«
»Ich will nachdenken. Vielleicht könntest du dich als Papst bewerben.« Es war das erstbeste, was mir einfiel; es war unsinnig.
»Ich wäre lieber ein Mann. Die Frauen sind von so vielem abgeschnitten. Du könntest alles mögliche sein, Louis. Was kann eine Frau sein? Hausfrau oder Angestellte oder Stenotypistin oder Lehrerin.«
»Du kannst Ärztin werden«, sagte ich. »Und geplatzte Lippen nähen.«
»Ich kann kranke oder beschädigte oder defekte Wesen nicht ausstehen. Das weißt du, Louis. Deshalb bringe ich dich zum Arzt; ich muß den Blick abwenden – verunstaltet, wie du bist.« »Ich bin nicht verunstaltet! Ich habe nur eine geplatzte Lippe!« Pris ließ den Motor an, und wir fuhren los.
»Ich werde den Lincoln vergessen. Ich werde ihn mir nie mehr lebendig vorstellen; von jetzt an ist er nur noch ein Objekt für mich. Ein Verkaufsobjekt.«
Ich nickte.
»Ich werde dafür sorgen, daß Sam Barrows ihn kauft. Ich habe keine andere Aufgabe im Leben als diese. Von jetzt an wird bei allem, was ich denke oder tue, Sam Barrows im Mittelpunkt stehen.«
»Pris«, sagte ich nach einer Weile, »das Problem bei dir ist, daß du rational denkst.«
»Nein. Alle sagen, ich mache genau das, was mir paßt.«
»Du wirst von einer eisernen Logik getrieben. Es ist schrecklich. Das muß aufhören. Sag das Horstowski; sag ihm, er soll dich von der Logik befreien. Du funktionierst, als sei ein geometrischer Beweis der Antriebsriemen deines Lebens. Laß dich erweichen, Pris. Sei sorglos und albern und dumm. Tu etwas, das sinnlos ist. Okay? Fahr mich nicht zum Arzt. Setz mich vor einem Schuhputzer ab, und ich lasse mir die Schuhe putzen.«
»Deine Schuhe sind schon geputzt.«
»Siehst du? Siehst du, wie du die ganze Zeit logisch denken mußt? Halt den Wagen an der nächsten Kreuzung an, wir steigen beide aus und lassen ihn stehen, oder wir gehen in ein Blumengeschäft, kaufen Blumen und bewerfen andere Autofahrer
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