Die Rebenprinzessin
dass ihr Vater sie gerade angefahren hatte, als hätte er eine Magd vor sich, schmerzte sie der Unterton seiner Worte. »Du bist meine Tochter« klang in ihren Worten wie »Du bist nur meine Tochter!«. Nicht mehr.
Natürlich wusste sie, dass er einen Sohn haben wollte, doch Gott hatte ihm diesen Wunsch verwehrt. Anstatt sich darüber zu freuen, dass er überhaupt eine Erbin hatte, würdigte er sie herab!
Bevor sie durch weitere Widerworte alles nur noch schlimmer machte, presste Bella die Lippen zusammen, damit ihr ja kein Wort entwich.
Der glühende Blick ihres Vaters bohrte sich noch einen Moment lang in ihre Augen, dann kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück. »Komm jetzt«, sagte er deutlich ruhiger. »In deinem Zimmer liegt ein neues Gewand, das ich dir habe nähen lassen. Die Mägde werden dir etwas zu essen bringen und dir zur Hand gehen.«
Bella zitterte am ganzen Leib. Die Wut schnürte ihre Kehle zu, und bittere Tränen stiegen ihre Nase hinauf. Aber sie versagte es sich, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ihrem Zorn und ihrer Enttäuschung würde sie Luft machen können, wenn sie in ihrer Kemenate war.
Sie versuchte das Zittern zu unterdrücken, schritt voran und sprach, bis sie an der Tür angekommen war, kein einziges Wort mehr mit ihrem Vater.
Als die Schritte des Grafen verklungen waren, erlaubte sich Bella endlich ein lautes Schluchzen. Es peitschte durch ihren Brustkorb, der sich zuvor angefühlt hatte, als wollte er wie ein prall gefüllter Weinschlauch platzen. Doch auch die Tränen brachten keine rechte Linderung.
Wie hatte sie nur glauben können, dass bei ihrer Rückkehr alles anders sein würde! Ihr Vater war noch immer so hart und kalt zu ihr wie an dem Tag, als er sie ins Kloster geschickt hatte. Dass er sie zurückgeholt hatte, war allein dem Umstand geschuldet, dass er sie verheiraten wollte.
Dieser Gedanke würgte sie und trieb ihr die Tränen aus den Augen. Sie krallte die Hände so fest in ihr Bündel, dass sie die Brosche ihrer Mutter zu spüren meinte. Sie erinnerte sich an den vergangenen Morgen und ihre Gedanken angesichts des Schmuckstücks. An ihre Freude, wieder den heimischen Weinberg zu sehen.
Vielleicht hätte ich dort bleiben sollen, dachte sie, während sie sich dem Weinen hingab. Im Kloster hatte alles seine Ordnung gehabt. Dort wusste sie, was sie von den Menschen zu erwarten hatte. Doch jetzt? Wo sollte sie Wärme finden, wenn ihr Vater sie offenbar nur noch als Heiratsware betrachtete?
Hatte sie sich zuvor noch auf die gemütlichen Räume der Burg gefreut, erschien ihr das Gemach jetzt sogar kälter und unwirtlicher als die Zelle im Kloster. Ruhelos und von Zorn getrieben, wanderte sie auf und ab, schluchzte und zitterte zwischendurch und vermied es tunlichst, auf das Bett zu blicken.
Auf den Laken lag das Kleid, über das sie sich unter anderen Umständen sicher gefreut hätte. Es war, den Farben ihres Hauses entsprechend, aus grünem Samt gefertigt und mit roter Seide verbrämt. Ein prachtvolles Gewand! Aber in Bellas Augen wurde es zum Büßerkittel einer verurteilten Verbrecherin. Einer Verbrecherin, der ein Vergehen angelastet wurde, das sie gar nicht begangen hatte.
Noch immer straft er mich für Mutters Tod. Noch immer muss ich dafür büßen, dass er das Geschehene nicht vergessen kann.
Das Geräusch von Schritten brachte sie von ihren bitteren Gedanken ab. Bella lauschte einen Moment lang, dann rieb sie sich mit einer harschen Handbewegung die Tränen von den Wangen.
Ein Wispern, gefolgt von einem zaghaften Kratzen an der Tür machte ihr klar, dass die Mägde da waren.
»Ihr könnt wieder gehen, ich brauche euch nicht!«, schleuderte Bella ihnen entgegen, noch bevor sie die Kemenate betreten konnten.
Sie hörte, wie die Mädchen zögerten, wahrscheinlich hatte der Graf ihnen einen strikten Befehl gegeben.
Aber da Bella das Gewand nicht anziehen würde, brauchte sie auch keine Hilfe.
»Geht!«, rief sie den Mädchen zu, deren Atemzüge sie vor der Tür zu vernehmen glaubte. »Ich werde dafür sorgen, dass mein Vater euch nicht bestraft.«
Trotz dieser Versicherung dauerte es noch eine Weile, bis sich die Schritte von der Tür wieder entfernten.
Bella strebte der Truhe zu, doch als sie den Deckel hochschlug, fand sie darin nichts anderes als Weißzeug. Außer dem Kleid, das wie ein überdimensionales rotgerändertes Blatt auf dem Bett lag, schien ihr Vater keine anderen Gewänder für sie angeschafft zu haben.
Vielleicht will er mich
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