Die Rebenprinzessin
zornig, dass sich Martin unwillkürlich fragte, was sie wohl verärgert haben mochte. All der Grimm konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie wunderschön war.
Während er sie wie verzaubert betrachtete, glaubte er mit einem Mal, sie zu kennen. Er grübelte einen Moment lang, doch ihm wollte nicht einfallen, wo er sie schon einmal gesehen hatte. Es musste jedenfalls schon ziemlich lange her sein.
Als könnte sie seinen Blick spüren, wandte die junge Frau ihm unvermittelt das Gesicht zu.
Selbst auf diese Entfernung hin konnte Martin erkennen, dass ihre Augen so hellgrün waren wie Weinlaub, auf das ein Sonnenstrahl fiel. Sie ähnelten denen von Rosalina, trugen aber ein ganz anderes Feuer in sich. So, als würde Tau auf den Blättern von einem Sonnenstrahl beleuchtet. Martin blieb vor Staunen der Mund offen stehen, und ein seltsames Gefühl bemächtigte sich seines Körpers. Ein Feuer schien in seiner Brust zu erwachen, hell und alles verschlingend.
Ich muss ihren Namen wissen, ging es ihm durch den Kopf, doch bevor er den Mut fand, sie anzusprechen, war sie auch schon hinter der nächsten Hausecke verschwunden.
Obwohl alles in ihm danach drängte, versagte Martin es sich, ihr zu folgen. Wenn sie zum Gesinde der Burg gehörte, würde er sie bestimmt bald wiedersehen. Er folgte also den anderen Burschen, die er gerade noch ausmachen konnte, zur Mittagsmahlzeit.
Das Innere der kleinen Behausung roch nach Kräutern und frisch gekochter Milchgrütze. Bella sog den Geruch tief ein und genoss den kurzen Moment der Unbeschwertheit, den er in ihr auslöste. Dann lächelte sie die Frau an, die am Tisch saß, vor sich eine Schüssel mit dem weißen Brei, und erstaunt zu ihr aufblickte.
Als Katrina noch Bellas Kinderfrau war, hatte sie nicht in dieser Hütte wohnen müssen. Sie hatte ihr Gemach in der Burg gehabt, ganz in der Nähe von ihrem Schützling. Doch mit dem Fortgang des Mädchens war sie überflüssig geworden. Dass ihr Vater die Frau jedoch nicht fortgeschickt hatte, freute Bella.
Welche Aufgaben Katrina momentan genau zu erledigen hatte, wusste Bella nicht, aber angesichts der vielen Kräutersträußchen, die überall im Raum hingen, verrichtete sie wohl Dienste als Heilerin. Schon damals hatte sie ein Talent dafür gezeigt und kleine Blessuren, die sich die Grafentochter eingefangen hatte, kundig behandelt.
»Bella?«, rief sie nun, ließ vor lauter Überraschung den Holzlöffel fallen und schlug freudig die Hand vor den Mund.
»Ja, ich bin es«, antwortete die junge Frau, während sie auf die ältere zuging.
Wie Bella sehen konnte, hatte auch Katrina der Zeit ihren Tribut zollen müssen. Ihr vormals glattes Gesicht hatte Falten bekommen, ihre blonden Haare waren einen Ton heller als früher von dem Silber, das sich daruntergemischt hatte. Doch noch immer leuchteten ihre blauen Augen freundlich, und ihr Lächeln war das der jungen Frau, die Bella oftmals in den Schlaf gesungen hatte.
»Bella, ich freue mich so sehr, dich wiederzusehen«, sagte sie und umarmte ihren ehemaligen Schützling herzlich. »Verzeih, dass ich dich vorhin nicht begrüßen konnte. Mein Bein macht mir furchtbar zu schaffen, seitdem ich es mir vor zwei Sommern gebrochen habe.«
Bella hatte den Stock, der neben der Tür stand, schon bemerkt. Offenbar hatte man Katrinas Bein nicht so gut geschient, wie es nötig gewesen wäre, und es war anzunehmen, dass der Knochen falsch verheilt war. Das bereitete der Älteren nicht nur Mühe beim Laufen, sondern auch Schmerzen.
Doch daran schien die Kinderfrau jetzt nicht denken zu wollen. Sie erhob sich, verdrängte den Schmerz und nahm ihr Gegenüber wenig später in die Arme.
Bella stieg ein intensiver Kräutergeruch entgegen, der wohl von der Salbe stammte, mit der Katrina ihr Bein behandelte.
Nach einer Weile fasste die Kinderfrau die Grafentochter bei den Armen und drängte sie ein Stück von ihr weg, damit sie sie in voller Pracht betrachten konnte. »Du bist wirklich eine wunderschöne junge Frau geworden. Das genaue Abbild deiner Mutter.«
Obwohl die Worte freundlich gemeint waren, verursachten sie Bella doch ein schales Gefühl in der Brust.
Das Abbild meiner Mutter, dachte sie. Der Grund, warum mein Vater mich loswerden will. Aber sie verkniff sich eine selbstmitleidige Bemerkung.
»Möchtest du etwas essen?«, fragte die Kinderfrau und deutete auf den Topf. »Ich habe zwar nur Grütze, aber sie ist mit den besten Kräutern gewürzt, die ich in diesem Jahr
Weitere Kostenlose Bücher