Die Rebenprinzessin
den Tiefen seines Geistes nicht hervorholen. Dafür kam ihm wieder die Schöne mit dem haselnussfarbenen Haar und den Katzenaugen in den Sinn, die einige Stunden zuvor an ihm vorübergehuscht war.
Martin hatte gehofft, sie beim Abendessen zu sehen, doch zu seiner Enttäuschung speisten die Mägde getrennt von den Männern. Er hatte sich zunächst vorgenommen, nach ihr Ausschau zu halten, aber dann war ihm eingefallen, dass sie ihn in ihrer Eile wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen hatte.
Die Gestalt entfernte sich jetzt in Richtung Mauer, und so weit er es erkennen konnte, öffnete sie ein kleines Gitter, das in die Steine eingelassen war. Nachdem das leise Quietschen verklungen war, verschwand sie in dem Geviert gleich dahinter.
Martin versagte sich, seinem ersten Impuls nachzugeben und ihr zu folgen. Niemand durfte ihn sehen, egal ob es nun eine Geisterfrau war oder eine Magd auf dem Weg zu ihrem Liebhaber.
Dass diese Gestalt mit dem Geheimnis des Grafen zusammenhing, hielt er für unwahrscheinlich, daher näherte er sich dem Zugang zum Kelterkeller, den ein Pfeiler verschattete.
Wie er freudig feststellen musste, war die schwere, mit kunstvollen eisernen Beschlägen verzierte Eichentür nicht verschlossen. Im Mondschein, der einen hellen Keil in die Finsternis schlug, erkannte Martin die Halterung für eine Fackel. In einer kleinen Nische daneben mussten wohl die dazugehörigen Zündsteine liegen. Vorsichtig tastete er danach und behielt dabei den Weg im Auge, den die Gestalt vorhin gegangen war. Es konnte durchaus sein, dass sie gleich zurückkehrte und dann bemerkte, dass die Tür offen stand.
Nachdem er die Steine tatsächlich ausfindig gemacht hatte, versuchte er die Fackel zu entzünden. Dazu klemmte er sie sich zwischen die Knie, damit er sich nicht zu sehr verrenken musste, um die Funken auf das Pech regnen zu lassen. Allerdings erwies sich das Anzünden als äußerst schwierig. Die Zündsteine waren anscheinend feucht geworden, weshalb sie nicht gleich Funken schlugen.
»Nun mach schon«, murmelte Martin nach den ersten Fehlversuchen ungeduldig.
Eine Bewegung, die er aus dem Augenwinkel heraus wahrnahm, lenkte ihn kurz ab – und dabei hätte er sich beinahe an der Flamme verbrannt, die nun wider Erwarten doch aufloderte. Die rote Zunge leckte ihm über den Arm, und sogleich drang ihm der Geruch nach versengten Härchen in die Nase.
»Himmel noch mal!«, fluchte Martin und warf die Zündsteine von sich. Nicht nur die Haare waren von der Flamme verletzt worden, sondern auch seine Haut, und ein teuflischer Schmerz zuckte bis zu seinen Schläfen hinauf.
Doch die kühle Luft linderte seine Pein rasch wieder, und nun konnte er sich endlich seiner Aufgabe widmen.
Nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, leuchtete er mit der Fackel durch den Gang. Zunächst gab es nichts weiter zu sehen als leere, frisch gereinigte Fässer, die nur darauf warteten, den kostbaren Rebsaft aufzunehmen. Aber nach einigen Schritten fiel der Schein auf ein Geländer, neben dem eine Treppe ein Stockwerk tiefer in den richtigen Keller führte.
»Dann wollen wir doch mal sehen, was Ihr da unten so versteckt, werter Herr Graf«, flüsterte Martin vor sich hin und stieg die unter seinem Gewicht leise knarrenden Stufen hinab.
Das Gewölbe war zunächst recht niedrig, weshalb er sich ducken musste, um sich nicht an irgendwelchen Vorsprüngen den Kopf zu stoßen. Die roten Steine waren teilweise von Alter oder Ruß geschwärzt, und der Geruch von Moder, Holz und Gärungsprozessen strömte in seine Nase.
An einer Tür, die aus dunklen Eichenbrettern bestand, musste Martin zunächst haltmachen. Vermutlich befindet sich dahinter das Fassgewölbe, ging es ihm durch den Sinn. Und mit etwas Glück auch die Schatzkammer.
So wurde bei den Winzern der Raum genannt, in dem sie die kostbaren Jahrgänge aufbewahrten. Mit Gold und Geschmeide hatte das wenig zu tun, was bei Dieben, die ein Weingut bestehlen wollten, sicher zu einiger Verwirrung führte. Das Lumpenpack wusste nicht, dass einige der Fässer, die dort lagerten, ein Vermögen wert waren.
Er drückte die Klinke herunter und jubelte innerlich, als das Schloss aufschnappte. Der Geruch nach Wein und jungen Fässern schlug ihm entgegen, und die stickige Luft des Kellers war vollkommen damit gesättigt. Das Fackellicht streifte mehrere große, bauchige Fässer und die niedrige Decke des Gewölbes. Ungewöhnlich schien auch hier nichts zu sein, jedenfalls auf den ersten
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