Die Rebenprinzessin
auch sonst niemanden aufschrecken.
Trotz der langen Abwesenheit kannte sie die Gänge und Winkel der Burg noch immer genau, so dass sie sogar mit verbundenen Augen den richtigen Weg gefunden hätte. Nun eilte sie vorbei an Wänden, die mit Bannern und Teppichen geschmückt waren, dann wieder an kahlen Durchgängen, auf denen das Feuer der Fackeln schwarze Schatten hinterlassen hatte. Einige schmalere Durchgänge, die nicht über ein Fenster verfügten und in denen die Fackeln bereits gelöscht waren, konnte sie nur tastend durchqueren.
Schließlich erreichte Bella den Durchgang mit den hohen Fenstern, die beinahe wie die einer Kirche anmuteten. Das Mondlicht zauberte bizarre Figuren auf den Fußboden, der mit einem Mosaik aus blauen Kacheln bedeckt war. Dieser Gang diente den Bittstellern, die ihren Vater aufsuchten, als Wartebereich. Besonders nach der Weinlese waren sie zahlreich, weil sie wussten, dass dann die Geldtruhen des Grafen reich gefüllt waren.
Obwohl die junge Frau sich bemühte, leise zu sein, hörten sich die Schritte, mit denen sie sich dem Ausgang näherte, in ihren Ohren überlaut an. Die Tür gab ein leises Knarren von sich, als Bella sie aufstieß, und frische Nachtluft strömte ihr entgegen.
Hoffentlich wecke ich die Hunde nicht, dachte sie, während sie zum Burgtor spähte. Doch alles blieb still.
Aus der Ferne meinte sie die Rufe einer Nachtigall zu vernehmen. Bella lauschte dem Gesang einen Moment lang, dann zog sie den Mantel um ihre Schultern zusammen und eilte über den Hof. Als sie die Ställe passierte, vernahm sie leises Schnauben, und aus dem Quartier der Wachsoldaten drang lautes Schnarchen. Die Unterkünfte der Knechte und anderen Bediensteten waren noch dunkel.
Das Gefühl, in diesem Augenblick vollkommen allein zu sein, gefiel Bella. Sie blickte zum Himmel hinauf, wo unzählige Sterne über ihr funkelten. Das Gewand einer Königin konnte nicht prachtvoller sein.
Wie wäre es, wenn ich jetzt einfach von hier fortgehen würde?, fragte sie sich. Ich könnte mich auf ein Pferd schwingen und davonreiten. Irgendwohin.
Gleichzeitig wusste Bella, dass sie es niemals übers Herz bringen würde, denn sie liebte die Burg ebenso wie den Weinberg. Warum sonst sollte sie sich so gegen eine Heirat sträuben? Sie wollte nicht von hier fort!
Als sie den Kopf senkte, streifte ihr Blick die Kutsche des Gesandten. Wie sehr sie sich wünschte, dass er nie angekommen wäre! Es hätte gewiss eine lange Zeit gedauert, bis sein Herr vom Verschwinden des Boten unterrichtet worden wäre.
Doch nun war er hier, und wenn sie an die gierigen Blicke dachte, mit denen er sie beim Abendessen bedacht hatte, gefiel sie wohl auch seinem Herrn sehr gut.
Bella erschauderte bei dem Gedanken und lief weiter.
Den ganzen Abend über hatte sich Martin den Kopf darüber zerbrochen, wie er wohl an das Geheimnis des Grafen von Katzenburg herankommen sollte. Lange bleiben wollte er an diesem Ort auf keinen Fall. Es reichte schon, dass er gleich am ersten Tag Ärger mit Thomas und seinen Freunden bekommen hatte.
Peter und Ranulf waren ihre Namen, soweit er es in Erfahrung gebracht hatte. Sie waren als Raufbolde verschrien, und die meisten Burschen zogen es vor, ihnen aus dem Weg zu gehen.
Martin wollte es ebenso halten, aber was konnte er schon dagegen tun, wenn sie ihm ständig vor die Nase liefen? Er konnte sich wohl kaum unsichtbar machen!
Also stellte er sich auf weiteren Ärger ein und sehnte sich schmerzlich nach der Wärme des Südens und nach Rosalina. Vielleicht ließ ihn sein Vater ja dorthin zurückkehren, wenn er hatte, was er wollte.
Was mag es wohl sein?, stellte er sich die nächste Frage. Was beschert dem Grafen von Katzenburg diesen Erfolg? War es der Mist, mit dem sie den Boden düngten? Oder hatten sie eine neue Keltermethode erfunden?
Den Weinberg hatte er nur von weitem gesehen, und auf den ersten Blick unterschied er sich nicht wesentlich von dem seines Vaters. Wie ein großer mittelgrüner Flicken fügte er sich in den Baumteppich ein, der den Berg bedeckte. Das Laub war dicht und nicht braun, vereinzelt blitzten Trauben unter den Blättern hervor, die groß genug waren, dass man sie aus der Ferne mit bloßem Auge erkennen konnte.
Während er zum Dach aufblickte, durch das hier und da ein Strahl Mondlicht fiel, fragte sich Martin, was Giacomo an seiner Stelle getan hätte. Er kannte den Italiener zwar nicht besonders gut, aber er war fast sicher, dass dieser die erstbeste Gelegenheit
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