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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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Verlies öffnete und Baldo und Vitou, gefolgt von Bredin, hinabstiegen. Der erste trug den Amboß und der zweite die Ketten. Da ihre Taschen inzwischen leer waren, konnten sie ihre Zelle im Turm nicht mehr bezahlen. Tags zuvor hatte es zu regnen angefangen, und das Wasser im Burggraben war mittlerweile so hoch gestiegen, daß es schon durch die Luke kam und den Boden in einen einzigen Morast verwandelt hatte. Beim Anblick Justiniens, der gerade etwas schrieb und mollig-weich auf dem Boden auf einem Kissen saß und so vor dem Schlamm sicher war, verzogen sie erstaunt das Gesicht. Er war zwar noch immer angekettet, jedoch nur noch an einem Knöchel, und er verfügte über Schreibzeug, einen Kerzenleuchter und einen kleinen, niedrigen Tisch. Von Zeit zu Zeit griff er sich eine Kirsche aus einer vollen Schüssel.
     
    Baldo suchte eben nach einer Gemeinheit, die er ihm an den Kopf werfen konnte, als er seinen Ohren nicht traute: Fragte dieser Tölpel von einem Gefängniswärter doch tatsächlich diesen komischen Vogel:
    »Wohin willst du, daß ich sie setze?«
    Justinien unterbrach seine Schreibarbeit, musterte die beiden Gaukler, wobei ihm Mouchette und ihre Liebesspiele im Gras am Ufer des Dourdou wieder in den Sinn kamen.
    »Auf keinen Fall in meine Nähe! Ach, setz sie lieber dahin, wo früher mein Platz war. ja, da, wo diese Wasserlache ist.«
    Er spuckte einen Kirschkern in die entsprechende Richtung.
    »In drei Teufels Namen, was soll das denn heißen? Seit wann hat denn hier dieser merkwürdige Kauz ohne Zinken das Sagen?« begehrte Baldo auf, der sich mehr und mehr wunderte.
    »Wieviel schuldest du mir noch?« erkundigte sich Justinien bei Bredin.
    »Fünf Sols, aber ich habe dir doch gesagt, daß du nächste Woche dein Geld bekommst.«
     
    Der älteste Sohn des Kerkermeisters schwärmte für die Tochter des alten Fenaille, einen Kesselflicker und Scherenschleifer aus der Rue de la Bigorne, und schrieb ihr fast jeden Tag Gedichte, die Justinien berichtigte und dann für einen Sol pro zehn Zeilen ins reine schrieb (ein Berufsschreiber hätte drei Sols dafür verlangt).
    »Ich lasse dir zwei Sols nach, wenn du für mich diesen widerlichen Kerl verprügelst. Und wenn du dabei ordentlich hinlangst, schreibe ich dir deinen nächsten Liebesbrief sogar umsonst.«
    Bredin schlug wild drauflos, bis der Troubadour und Seiltänzer im Schlamm auf die Knie fiel, der Länge nach hinschlug und um Gnade flehte.
    Dann deutete Bredin auf Vitou.
    »O nein, nicht mich! Ich habe doch gar nichts gesagt! «
    »Den auch«, sagte Justinien und steckte sich eine Kirsche in den Mund.
     
    Diese beiden da hatten ihn hintergangen, gedemütigt, niedergeschlagen und ausgeraubt. Für sie hatte er das Vertrauen seiner Familie mißbraucht und Roumégoux verlassen, ohne die geringste Hoffnung, dorthin jemals zurückkehren zu können.
    Zwei Tage nach Palmsonntag erzählte der Kutscher der Postchaise von Rodez nach Millau, daß er die Kette in Montrozier gesehen hätte. »Dann wird sie morgen also am Kerker von Gabriac sein und übermorgen hier«, rechnete sich Maiitre Beaulouis aus und kratzte sich am linken Ellenbogen, was er immer tat, wenn er völlig ratlos war.
    Bei einer Bevölkerung von ungefähr dreitausend Seelen hatte die Stadt genau vier öffentliche Schreiber; diese Anzahl hätte durchaus genügt, wenn die Leute aus dem Rouergue im allgemeinen, insbesondere aber die aus Bellerocaille nicht so streitsüchtig gewesen wären. Darüber hinaus konnte nur einer dieser Schreiber, nämlich der Küster, Texte ins Lateinische übertragen. Da er völlig überlastet war, brauchte er mindestens eine Woche, oft länger, um seine Aufträge zu erledigen. jetzt, wo er seinen Gefangenen mit der hölzernen Nase zur Verfügung hatte, sah Beaulouis sich imstande, dieses Monopol zu durchbrechen, weil er eine qualitativ höherwertige Leistung zu einem niedrigeren Preis anbieten konnte. Baron Raoul wäre sicher mehr als erfreut, ihm das Amt eines Schreibers zu verkaufen.
    Wie ein Pachtgut war ein Amt eine Ware wie jede andere, die man für bares Geld kaufen konnte. Sobald man ein Amt erworben hatte, ging es in den Familienbesitz über und konnte somit vererbt werden. Da Ämter an und für sich ein Privileg der Adeligen waren, bot der Kauf solcher Adelsvorrechte Nichtadeligen die Möglichkeit, gesellschaftlich aufzusteigen. Doch um seinen Plan in die Tat umzusetzen, mußte Mâitre Beaulouis erst einmal einen Weg finden, wie Justinien der Kette Hauptmann

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