Die rechte Hand Gottes
auch noch ein Dummkopf«, urteilte er streng über sich, und er schämte sich, schämte sich wirklich sehr.
Nicht weit von Beaujour begegnete er einem Mann, der Almanache verkaufte. Dieser versicherte ihm, einen Karren mit Gauklern auf der Straße in Richtung Racleterre gesehen zu haben. Seine Beschreibung, vor allem die Mouchettes, ließ keinen Zweifel daran, daß sie es waren. Er ging schneller. Zehn lange Stunden brauchte er noch, bis er ihr Lager entdeckte, das sie zwischen dem Fluß und der Befestigungsmauer aufgeschlagen hatten. Es war schon dunkel, und sie schliefen alle wie die Murmeltiere.
Justinien lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Stein in der Nähe der jungen Frau und wartete, daß es Tag wurde. Um nicht einzuschlafen, biß er sich in die Backe. Hin und wieder lächelte er, wenn er sich ausmalte, wie überrascht sie sein würde, wenn sie aufwachte.
Die Fliegen, die Sonne und die Ameisen, die ihm ins Ohr gekrabbelt waren, hatten ihn aus seiner Betäubung geweckt. Zunächst schmerzte ihm der Kopf, dann sah er, daß die Gaukler ihr Lager abgebrochen hatten, und mußte feststellen, daß er splitternackt war. Sie hatten ihm alles gestohlen, alles, sogar seine Nase. Er betastete seinen schmerzenden Kopf, fand eine Beule von der Größe eines Hühnereis und fragte sich, welcher von den Vieren ihn wohl niedergeschlagen hatte. Die Vorstellung, daß es vielleicht Mouchette gewesen sein könnte, war ihm unangenehm. Er schleppte sich bis zum Fluß, um seine Beule zu kühlen, als ihn das Geräusch von Stimmen in Schrecken versetzte. Er wollte sich hinter einem großen Felsblock verstecken, aber man hatte ihn schon entdeckt.
»Da ist er!« rief der Mann, dem vier Milizsoldaten aus Racleterre folgten. »Was habe ich Euch gesagt! Nur, als ich ihn vorhin sah, rührte er sich überhaupt nicht, und ich nahm an, man habe ihn umgebracht.«
Die Milizsoldaten richteten ihre scharfen Lanzen auf Justinien.
»Wer bist du? Warum versteckst du dich? Was ist denn das für ein Benehmen? Potz Blitz, außerdem hat er keine Nase! «
Mit einer Hand bedeckte er seine Blöße, mit der anderen hielt er sich seinen schmerzenden Schädel; so trat der junge Mann hinter dem Felsen hervor und bemühte sich, sich etwas Glaubhaftes einfallen zu lassen.
»Ich dachte, die Räuber kämen zurück, um mir den Garaus zu machen.«
Seine Lügen klangen überzeugend. Er gab sich als Pilger aus Clermont aus, der auf dem Weg zur heiligen Stätte von Rocamadour sei.
»Als ich gestern hier ankam, war es Nacht, und die Tore der Stadt waren verschlossen. Ich sah dieses Lager der Gaukler hier am Fluß und ließ mich in ihrer Nähe nieder, um in Sicherheit zu sein. Sie schliefen alle, ich war den ganzen Tag gegangen, ich war müde, bin eingeschlafen und dann ... «
Seine Jugend, sein freundliches Aussehen (trotz der fehlenden Nase), seine gewandte Ausdrucksweise, doch vor allem seine dicke Beule, die jeder betastete, überzeugte die Milizsoldaten, und sie ließen ihre Lanzen sinken.
Gerührt von seinem Mißgeschick, forderte Childéric Tricotin, der Schmied, der ihn für tot gehalten und die Miliz gerufen hatte, ihn auf, mit ihm zu kommen.
»So kannst du nicht bleiben, ich werde dir ein paar Kleidungsstücke geben. Bis dahin versuch es damit«, sagte er und reichte ihm etliche Zweige, die er von einer jungen Eiche abgebrochen hatte.
In dieser Aufmachung, die eines Wilden aus der Neuen Welt würdig gewesen wäre, erregte Justinien großes Aufsehen, als er nach Racleterre kam.
Seine Nase, beziehungsweise ihr Nichtvorhandensein, wurde von den Zollsoldaten mißtrauisch beäugt. Als sie zum Place de l'Arbalète kamen, wo sich Tricotins Schmiede befand, folgte ihnen bereits ein ganzer Schwarm Leute, der die Milizsoldaten mit Fragen bedrängte.
»Ich habe weder Stiefel noch Schuhe für dich«, entschul-
digte sich der Schmied, nachdem er ihm ein Hemd aus schlechtem grauen Tuch, das am Kragen und den Ärmeln schon abgewetzt war, und ein Paar geflickter Oberschenkelhosen gegeben hatte, die aber, genau wie das Hemd, peinlich sauber waren.
Madame Tricotin bewirtete ihn mit einer Schale, die bis an den Rand mit Zwiebelsuppe gefüllt war, und einem Speckomelett aus vier Eiern. Und ihr Mann ging in den Keller und holte einen Krug Rotwein.
Anschließend borgte sich Justinien das zusammenklappbare Messer des Schmiedes und schnitzte sich eine neue Nase. Da kein besseres Holz zur Hand war, mußte er mit einem Stück Tanne, das voller Splitter
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