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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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zu vergewissern, daß Éponine ihn nicht hören konnte, und fügte dann hinzu:
    »Auch ich hätte nie geheiratet, wenn er überlebt hätte. Ich habe dir doch schon erzählt, daß wir Soldaten in den Truppen des Grafen und Bischofs werden wollten. Er sagte immer, Frauen seien wie Melonen, und man müsse hundert probieren, bevor man eine gute findet. Wir hatten uns vorsichtshalber geschworen, tausend zu probieren.«
    Justinien seufzte und murmelte dabei sicherlich zum millionsten Mal:
    »Wie gerne wäre ich mit euch unterwegs gewesen! Glaubst du, daß ich auch mal einen Freund wie Pibrac haben werde?«
    Die Augen des alten Mannes wurden feucht.
    »Das kann ich dir nur wünschen, mein Junge ... «
    Nach einer abscheulichen Nacht, in der sich Justinien unaufhörlich von einer Seite auf die andere wälzte, erledigte er hastig seine üblichen morgendlichen Arbeiten und lief dann, weil er es nicht mehr aushielt, an die Brücke. Die Uferböschung war leer, die Gaukler hatten ihr Lager abgebrochen.
    Er lief um die Feuerstelle, deren Asche noch heiß war, und seine Kehle schnürte sich beim Anblick der Stelle schmerzlich zusammen, an der Mouchette immer ihre bunte Decke ausgebreitet hatte und das Gras auch jetzt noch plattgedrückt war.
    Als er zum Marktflecken zurückging, hatte er eine neue unwiderrufliche Entscheidung getroffen: Er würde die Gaukler einholen, und er würde Mouchette wiedersehen.
    Er kannte drei Verstecke: das des Klosterverwalters, das des öffentlichen Schreibers, das der Coutoulys.
    Das letzte Versteck stand völlig außer Frage, er entschied sich für das erste, das ertragreichste.
    Er wählte den Vespergottesdienst, um sich in das Kloster einzuschleichen. Er kletterte an einem Baum hoch, der dicht an der Ringmauer stand und den die Wächter seit jeher benutzten, wenn sie unerlaubt das Kloster verlassen wollten.
    In das Zimmer des Verwalters zu gelangen, die kleine Statue des Jesuskindes anzuheben, so wie er es ihn vielen Jahre lang hatte machen sehen, und sich der Schatulle zu bemächtigen, die unter dem Sockel versteckt war, war ein leichtes. Er hatte Éponine immer begleitet, wenn sie sich den Lohn für ihre Ammendienste abholte.
    Die Schatulle enthielt lediglich einen Taler im Wert von sechs Livres und zwei Liards. Er steckte die drei Münzen ein, stellte die Schatulle wieder an ihren Platz und wollte sich gerade davonmachen, als er das Lämpchen bemerkte, das immer vor der kleinen Statue stand und brannte. In einem Augenblick geistiger Umnachtung stellte er es an den Vorhang, hinter dem sich, in die Mauer eingelassen, die Regale verbargen, in denen die Rechnungsbücher des Klosters standen. Als er hinausging, fing der Vorhang Feuer.
    Er war schon weit weg, als er hörte, wie die Glocke Sturm läutete. Von nun an würde nichts mehr so wie früher sein können.
    Von dem Sturmläuten aufgeschreckt, strömten die Dorfbewohner zum Kloster. Er versteckte sich in der verfallenen alten Mühle und wartete darauf, daß der Weg sich wieder leerte und er hervorkommen konnte.
    Die Coutoulys schliefen tief und fest, als Justinien die schwere gußeiserne Platte des Kamins verrückte und vier Ziegelsteine herausnahm, hinter denen die Ersparnisse seiner Adoptiveltern versteckt waren. Zunächst hatte er nur vorgehabt, sich die neun Livres zu nehmen, die ihm noch fehlten, um die fünfzehn Livres zusammenzubekommen. Aber als er im Innern der Kassette mehr als dreihundert entdeckte, konnte er nicht widerstehen und stahl zwanzig. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß du zu einer solchen Schandtat imstande bist«, sagte er fassungslos zu sich selbst, während er die Ziegelsteine wieder an ihren Platz legte. Er warf noch einen letzten Blick auf das Haus, in dem er zwanzig Jahre lang gelebt hatte, und verschwand in der Dunkelheit, die nur spärlich von einem Halbmond erhellt wurde.
     
    Justinien marschierte die ganze Nacht durch. Er drehte sich häufig um und fuhr bei dem leisesten Ruf einer Eule zusammen.
    Später, als es Tag wurde, setzte er sich unter einen Baum und aß das Brot, den Käse und die Blutwurst mit Knoblauch, die er sich aus Éponines Vorratskammer genommen hatte, bevor er aufgebrochen war... Um diese Zeit ahnten sie sicher schon, daß er sie aus gutem Grund verlassen hatte.
    War sein Diebstahl entdeckt worden? Wahrscheinlich. Was würden sie von ihm denken? Und warum hatte er den Vorhang in Brand gesetzt? Natürlich, um seine Missetat zu vertuschen.
     
    » Ich bin nicht nur ein Dieb, ich bin

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