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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hirata
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Tischbeinen, an den Tonnen, an Bäumen, an zerbrochenen Zäunen und herumliegenden Holzbalken hängen. Das also war unser Markt, das Ergebnis einer großartigen modernen Stadtplanung, die malaiische Fachleute von Dorfniveau geschaffen hatten. Es war ein kurz vor der Explosion stehendes Chaos.
    Eine Schachtel Kreide zu verkaufen, war kein besonders gewinnbringendes Geschäft, also mussten wir uns gedulden, bis der Ladenbesitzer eine Gruppe von Männern und Frauen bedient hatte, die sich Tücher um den Kopf geschlungen hatten.
    A Miauw, der Ladenbesitzer, war eine Erscheinung, die Schrecken verbreitete. Er hatte einen Schmerbauch, trug stets nur Unterhemd, Shorts und Sandalen. Immer hielt er ein langes Notizbuch in der Hand, mit einem Batikmuster vorne drauf – darin waren die Schulden verzeichnet. Den Bleistift hatte er hinters Ohr geklemmt. Auf dem Ladentisch stand ein sempoa , ein Abakus, der einen nervös machen konnte, wenn die Kugeln klackernd hin- und hergeschoben wurden.
    Der Laden war eigentlich ein Lagerraum. Hunderte verschiedener Waren stapelten sich hier lückenlos bis zur Decke. Außer dem Gemüse und den anderen Esswaren in den angerosteten Blechschüsseln gab es Gebetsteppiche, eingelegte kedondong , Goldpflaumen, in alten Glasbehältern, Farbbänder für Schreibmaschinen, Rostschutzfarbe und Kalender mit Fotos von Frauen im Bikini. In der langen Glasvitrine lagen billigster Gesichtspuder, Alaunsalz, Knallfrösche, Munition für Luftgewehre, Rattengift, Feuerwerkskörper und Fernsehantennen zum Verkauf aus. Wenn es jemand besonders eilig hatte, beispielsweise in höchtser Not ein Mittel gegen Durchfall verlangte, konnte er nicht damit rechnen, dass A Miauw es schnell fand. Manchmal wusste er nämlich selbst nicht mehr, wo er die einzelnen Artikel aufbewahrte. Er ertrank langsam in seinen vielen Waren.
    »Kiak-kiak!«, rief A Miauw ungeduldig, und Bang Arsyad näherte sich eilfertig.
    »Magai di Manggara masempo linna?«, fragten die Leute mit den Kopftüchern verwundert, als sie den Preis der Glühstrümpfe für Petroleumlampen sahen. »Sind die in Manggara nicht billiger?«
    »Kito lui, ba? Ngape de Manggar harge e lebe mura?« Bang Arsyad benutzte ein mit Malaiisch vermischtes Khek und reichte die Klage der Leute an seinen Chef weiter. Die erste Frage kam in Khek, die zweite im Belitunger Malaiisch.
    Mir war schon furchtbar übel von dem Gestank, aber der Dialog fesselte mich: Drei Männer, jeder von ganz unterschiedlicher Herkunft, kommunizierten in ihrer jeweiligen Muttersprache und verstanden sich. Ihre Rollen waren ganz typisch verteilt.
    A Miauw trat gern etwas arrogant auf und war alles andere als freundlich. Aber er war ein strenger Anhänger des Konfuzianismus und verhielt sich als Händler ehrlich und anständig wie kein zweiter. Im harmonischen Gefüge unserer Gesellschaft waren die Chinesen die tüchtigsten Kaufleute und Unternehmer. Die Hersteller waren anderswo zu Hause, die kannten wir nur von der Angabe »made in« im Boden von Töpfen. Die Malaien dagegen bildeten vor allem die Konsumenten, je ärmer, desto konsumfreudiger. Und die Leute mit den Kopftüchern, die von einer anderen Insel kamen, ließen ihre Einkäufe von den Sawang tragen. Neben dem Schleppen von Zinnsäcken stellte das eine weitere Verdienstmöglichkeit für sie dar.
    Der Kreidekauf war eine Routineangelegenheit, die immer gleich ablief. Nachdem man während der langen Wartezeit in dem stinkigen Laden fast ohnmächtig geworden war, befahl A Miauw mit durchdringender Stimme jemand Unsichtbarem, einen Karton Kreide zu holen. Aus einem Raum im Hintergrund wurde mit der klaren, hellen Stimme einer Schamadrossel eine Antwort gerufen. Es musste ein junges Mädchen sein.
    Der Karton mit der Kreide wurde durch eine kleine viereckige Öffnung herausgereicht, wie man sie an einem Taubenschlag hat. Zu sehen war nur eine feine rechte Hand, die die Kreide durch dieses Loch schob. Das Gesicht ihrer Besitzerin blieb ein Geheimnis, hinter der Holzwand verborgen, die den Laden vom hinteren Lagerraum abtrennte. Das geheimnisvolle Wesen richtete nie auch nur ein einziges Wort an mich. Es schob nur rasch die Schachtel mit der Kreide heraus und zog die Hand blitzschnell wieder zurück, wie jemand, der einen Brocken Fleisch in einen Tigerkäfig wirft. So ging das jahrelang, es war immer dasselbe.
    Sooft die Hand erschien, konnte ich nie einen Ring an einem der leicht nach oben gebogenen, schlanken, feinen Finger entdecken, aber ihr

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