Die Regentin (German Edition)
Tag zu verleiden. Sie drehte sich um und ging, und als Bathildis ihr nachstarrte, so ging ihr durch den Kopf, dass Kent die Heimat ihrer Mutter Estrith war, dass sie in einem dortigen Kloster groß geworden war, vor allem aber: dass sie es verdiente, dorthin zu gehen, und nicht Itta und dass sie es doch nicht durfte, nie wieder, nie wieder.
Sie brach in Tränen aus, in heiße und ungestüme Tränen, weinte ihrer Heimat nach und Aidan, weinte schließlich ob ihres verdorbenen Lebens.
Danach glich ihre Seele einem See, dessen Wasser sich verflüchtigt hatte und dessen Grund grau und staubig war und nur an manchen Stellen noch schlammig. Wann immer sie in die Nähe eines solchen Fleckchens kam, so hatte sie Angst vor dem weichen Dreck und meinte, sich waschen zu müssen. Nichts anderes blieb ihr, als auf dem trockenen Grund zu hocken, denn die Uferböschung hinaufzuklettern war zu beschwerlich. Schon beim zaghaften Versuch, sie zu besteigen, drohte sie abzurutschen und wieder auf schlammigem Rest zu landen.
Nein, besser war es, nichts zu tun, besser, im Zimmer auf- und abzuwandern und manches Mal auf den Hof zu starren.
Das tat Bathildis auch jetzt. Sie atmete ein wenig schneller als sonst, war jedoch gewillt, die Erinnerungen, die da hochgestiegen waren, zu schlucken, sich alsbald wieder taub zu stellen... und blind.
Doch just bevor ihr Blick sich verschleierte, fiel er auf eine letzte Bewegung.
Nicht größer als ein Punkt schien, von hier oben aus betrachtet, das Wesen, das dort unten über den Hof huschte. Meist gab es dort so wahllos viel zu erschauen, dass nichts sie fesseln konnte. Doch jene Gestalt fiel ihr auf, weil sie so klein und dünn war und neben all den großen Gestalten wie eine Feder war,zufällig hierher geweht, über den Boden flatternd und stets davon bedroht, von einem heftigen Tritt in den Dreck gestampft zu werden.
Bathildis stand steif, so wie immer, nur ihre Augen waren nicht reglos. Ohne sich dafür entschieden zu haben, folgten sie unmerklich den Schritten eines kleinen Mädchens – eines Sklavenmädchens.
Rigunth.
Die Kleine hieß Rigunth.
So viel hatte Bathildis bereits erfahren in all den Tagen, da sie sie nun heimlich beobachtete – sie wusste nicht recht, warum. Vielleicht, weil ihr Gesicht so blass war, dass es unter den Augen und um den eingefallenen Mund bläulich glänzte, und die Arme so dürr, dass beide zusammen kaum so dick waren wie der eines ausgewachsenen Menschen. Und doch schienen die Arme kräftig. Eimer um Eimer Wasser schleppten sie, nachdem sie jenen zuerst an einem Strick in den Brunnen gelassen und mühselig wieder hochgezogen hatten.
Rigunth trug sie zur Küche, kam alsbald wieder zurück. Hin und her, den ganzen Tag lang. Das Gesicht wurde immer bläulicher, die Lippen immer schmaler, die Arme schienen stetig länger zu werden, als würde das Gewicht zwar nicht den Rücken beugen, aber die Glieder in die Länge zerren.
Unmöglich, dass sie es durchhält, dachte Bathildis, neugierig, erstaunt und irgendwie auch grimmig, dass das zähe Mädchen niemals zusammenbrach.
Beim ersten Mal war Bathildis’ Blick zufällig auf das Mädchen gefallen; später hatte er sich an ihm festgebissen, war nicht gewillt, Rigunth wieder loszulassen. Bathildis beobachtete sie – und wartete, gleich so, als hätte sie eine Wette darauf abgeschlossen, wie lange jene ihr Los ertragen könnte.
Sie gestand es sich nicht recht ein – und doch: Sie wollte sie heulen sehen, weil die Eimer zu schwer wurden. Sie wollte sieklagen hören und das bittere Leben verfluchen. Sie wollte, dass das Mädchen jene Tränen vergoss, auf die Bathildis selbst schon lange verzichtete.
Anfangs war sie geduldig. Sie beobachtete das Mädchen noch mit dem Anflug eines bitteren Lächelns. Doch einige Tage später hatte sich jenes Lächeln so verkrampft wie ihre ganze Statur. Ungewohnt war es für sie, die Muskeln derart anzuspannen. Das Bezeichnende an der Schwermut, die sie Tag für Tag gefangen hielt, war die Unterdrückung jeglicher Hast, jeglicher Regung. Doch nun schienen sich – unter dem weichen, schweren Tuch, das ihr Gemüt bedeckte – die Gliedmaßen selbständig zu machen und in jenem Takt zu zucken, in dem die kleine Rigunth zugriff, sich bückte, huschte.
Eben freilich hielt sie inne. So randvoll war der Eimer, den sie schleppte, dass er ihr wohl schmerzhaft in die Hand schnitt und sie ihn auf dem Weg zur Küche niederstellte.
Also doch!, triumphierte Bathildis still über diesen
Weitere Kostenlose Bücher