Die Regentin (German Edition)
kostbaren Glas gefertigt war, Licht von draußen hereinfallen ließ und einen unscharfen Blick auf den Hof erlaubte – es war heute jener des Pariser Palatium, in dem sie vor kurzem erst eingekehrt waren.
Sie hatte nichts von dem wahrgenommen, was dort geschah, jetzt freilich, da sie sich nach der drängenden Stimme umdrehte, konnte sie sich nicht blind stellen, sondern schaute in ein bekanntes Gesicht: Es war rundlich, Augen, Nase und Mund standen so eng beieinander, dass es stets den Anschein hatte, als wäre das Antlitz einer Katze in das übergroße eines Menschen geraten, ohne es ausreichend ausfüllen zu können.
»Was... was sagst du?«, fragte sie verwirrt.
»Ich habe gefragt, ob ich Euch die Kinder bringen soll, meine Königin«, erklärte die Frau. »Ihr habt so lange nicht mehr nach ihnen rufen lassen, und doch scheint mir, es würde sich für Euch lohnen. Ihr müsst sie sehen! Chlothar hat gestern zum ersten Mal auf einem Pferd gesessen – und zeigte großen Mut! Gewiss, er wurde blass um die Lippen, und ein wenig hat er auch gezittert, doch er wollte sich nichts davon anmerken lassen, hat sich ganz steif gemacht und ist so lange auf dem Rücken verharrt, wie man es von ihm verlangte. Ihr könnt stolz auf ihn sein, meine Königin! ... Und Childerich! Er stand daneben, den älteren Bruder zu bestaunen – und er, der doch gerade erst gelernt hat, eigene Schritte zu tun, rief die ganze Zeit: ›Will auch reiten! Will auch reiten!‹ Gar nicht zu beruhigen war er. An meiner Hand hat er gezerrt, als wollte er mir den Finger ausreißen. Und eine Stimme hat er, so kräftig, dass man sie im ganzen Hof hören konnte! Meine Königin, Ihr sollt...«
Ein Ruck ging durch Bathildis’ Leib, als sie die Hand hob,um die andere zum Schweigen zu bringen. Als würde jene entmutigende Geste nicht genügen, runzelte sie obendrein die Stirne.
»Still, Fara! Ich will davon nichts hören!«
Die Frau kniff ihre Augen zusammen, sodass sie noch enger beieinanderzustehen schienen. Eine jede andere von Bathildis’ Damen hätte sich nun zurückgezogen, auch Gertrude, obwohl jene der Königin am nächsten stand. Aber Faras Geist war zu schlicht, um zu begreifen, dass die Königin sich gänzlich anders verhielt als gewöhnliche Weiber.
Gewiss, Fara selbst war nicht eben eine feinsinnige Frau, ließ sich nicht leicht rühren. Gar nicht gut wäre es ihr bekommen, hätte sie das eigene Gemüt zu sehr verzärtelt. Mit ihrem Gatten war sie seinerzeit an den Königshof gekommen, jener ging dem Truchsess zur Hand. Rasch war sie selbst als Frau bekannt und geschätzt, die einen nüchternen Blick besaß und gut befehlen konnte, ohne jemals willkürlich oder grausam zu sein. Doch wohingegen bei allen anderen Menschen Faras Name gerne gehört wurde, reifte in ihrem Gatten schon früh ein Widerwille gegen sein Weib. Er ließ sich nie recht ergründen – wohl auch nicht von ihm selbst. Fest stand, dass er die Gegenwart von Frauen im Allgemeinen nicht mochte und lieber bei den Männern hockte, mit ihnen würfelte oder Met trank, und dass es ihm zunehmend unerträglicher wurde, Nacht für Nacht ein Weib neben sich im Bett liegen zu haben. Er schlug sie nie mit Absicht. Aber manches Mal gab er ihr mitten in der Nacht einen Tritt, der sie schmerzhaft in der Leibesmitte traf und sie auf den kalten Boden stieß. Obendrein verweigerte er bald, ihr beizuwohnen. Die wenigen Male, die er’s zuvor versucht hatte – ein Priester hatte es ihm dringend angeraten –, war es ihm auch nicht möglich gewesen, genügend Fleischeslust aufzubringen, um Fara wahrhaft zum Weibe zu machen.
»Sein Gemächt blieb schlaff und kalt wie ein rohes Stück Fleisch«, erklärte Fara später freimütig – nicht, weil sie sonderlichgeschwätzig war, sondern weil sie in allen Dingen des Lebens gern unverstellt die Wahrheit aussprach.
Nach zwei Jahren wurde sie von ihrem Mann geschieden. Im Scheidungsbrief wurde ihre Discordia festgehalten, was hieß, dass zwischen dem Gatten und seiner Frau keine gottgemäße Liebe herrschte, sondern Zwietracht, und sie nicht mehr zusammen leben könnten. Auf jenen Ritus, der für gewöhnlich vollzogen wurde, wenn ein Ehemann seine Frau verstieß, und der am besten an jenem Ort auszuführen war, wo die Ehe seinerzeit geschlossen wurde, wurde verzichtet.
Der Gatte heiratete nicht wieder, und Fara selbst wurde von Gertrude zu jener Frau bestimmt, die über die zwei kleinen Söhne des Königs die Aufsicht haben sollte. Wiewohl sie
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