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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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wirklich nässt, jedoch die Fluten ankündigt, die alsbald vom grauen Himmel stürzen werden.
    Unwillig versiegelte Bathildis ihre Lippen, um jedes weitere verräterische Geräusch abzuwürgen. Freilich konnte sie auf diese Weise auch nicht sagen, dass das Mädchen nun verschwinden sollte. Auch ihre Hände machten kein entsprechendes Zeichen. Sie hatte sie am Rücken verschränkt und ging solcherart ein paar Mal auf und ab.
    O, wenn das Mädchen doch von selbst verschwinden würde!
    Wieder fühlte sich Bathildis beobachtet, wieder durchschaut. Doch als sie sich dazu aufraffen konnte zu reden, kam wieder anderes heraus, als sie eben noch bezweckt hatte.
    »Zeig mir deine Hände!«, hörte sie sich streng befehlen.
    Obgleich sie schon schwarz waren, schienen sich Rigunths Augen noch ein wenig mehr zu verdunkeln. Dennoch trat sie gehorsam zur Königin, hob beide Hände und hielt sie, zuerst mit dem Handrücken, dann mit der Innenfläche vors Gesicht.
    Es waren winzige Hände, Kinderhände, wenngleich nicht dicklich und tollpatschig wie jene ihrer kleinen Söhne, sondern dünnund schmal. Die Haut war hier noch blasser als im Gesicht, rissig wie Papyrus und barg kaum die dunklen Adern, die wie kleine Würmer hervortraten. Die Fingernägel waren schwarz, die Fingerkuppen wundgerieben, und an manchen Stellen war die Haut aufgeschürft und zerkratzt.
    Zuerst sah Bathildis nur nachlässig darauf, dann begann sie zu starren, als sähe sie solch hart arbeitende Hände zum ersten Mal. Sie sah sie nicht nur mit ihren Rissen und Schwielen und ihrem Dreck... sie roch sie auch, die Ausdünstungen von Küche und Stall und Feld.
    Diesmal entfuhr ihr kein Schluchzen, sondern ein Würgen. Um es zu übertönen, schrie sie: »Mit solchen dreckigen Händen wagst du, vor die Königin zu treten?«
    Rigunth riss verständnislos die Augen auf, aber sie zuckte nicht zusammen, schien jenen Willen an den Tag zu legen, der offenbar auch die Männer im Hof auf sie aufmerksam gemacht und schließlich herausgefordert hatte.
    Ein kleines Mädchen kann solche Grundfesten nicht haben!, durchfuhr es Bathildis. So stark und selbstbewusst kann es nicht sein!
    Ein Neid glomm auf, ein widersinniger Zorn und auch die hinterhältige Lust, das Mädchen zu bestrafen.
    Sie wusste kaum, was sie tat, da schlug sie Rigunth schon ins Gesicht, klatschend rechts und links, sodass ihr ganzer Kopf hin und her geschleudert wurde. Sie tat es einmal, zweimal, stieß sie in die Brust, drückte sie an der Schulter zu Boden, riss dort an ihrem Haar und trat auf sie ein... versuchte zumindest, auf sie einzutreten. Es gelang ihr nicht. Denn Rigunth hatte nach ihrem Bein gegriffen, hielt sich daran fest und fragte: »Warum schlagt Ihr mich, meine Königin? Nicht allzu lang ist’s her, dass Ihr mich doch vor Schlägen bewahrt habt!«
    Es klang nicht anklagend, nur überrascht, nicht kläglich, sondern leise und rau wie alles, was sie gesagt hatte.
    Bathildis zuckte zurück, sank nieder. Von jener Stimme gefälltund von der Frage, die sie gestellt hatte, kniete sie neben dem Mädchen.
    »Ich weiß es nicht«, stammelte sie ein ums andere Mal. »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.«
    Sie mied den dunklen Blick des Mädchens, aber sie scheute es nicht zu sehr, um es zu umarmen. Wiewohl es knöchrig aussah und kaum Fleisch auf den Knochen hatte, fühlte es sich weich an und warm.
    »Es tut mir so leid«, murmelte sie und schluchzte wieder auf. »Es tut mir so leid...«
    Diesmal verhieß jener Laut keinen Schrecken mehr, auch nicht die Tränen, die ihm folgten. Heiß und salzig flossen sie ihr über die Wangen. Anstatt davon bedrückt zu sein wie früher, fühlte sie sich erfrischt, gleich so, als habe sie sämtlichen Unrat ausgespuckt, den sie über Jahre geschluckt hatte.
    Sie wusste später nicht mehr, wie lange sie so gehockt hatte, Rigunth umarmt hielt, weinte – vielleicht waren es Stunden.
    »Ich muss zurück in die Küche«, murmelte Rigunth schließlich. »Ich habe meine Pflichten.«
    »Nein«, entgegnete Bathildis entschlossen. »Nein, jetzt nicht mehr. Ich schicke dich nicht mehr dorthin zurück.«
    Sie hob die Hand, um sich die Tränen abzuwischen, erhob sich energisch und wandte sich zur Türe.
    »Wo wollt Ihr hin?«, fragte Rigunth.
    »Bleib hier und warte, Mädchen. Ich habe etwas zu tun.«
    Am Gang traf sie Gertrude, die offenbar darauf gewartet hatte, Rigunth zu sehen. Schon nämlich hatte sie den Mund geöffnet, um das Mädchen unwirsch zu

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