Die Regentin (German Edition)
fragen, was es so lange bei der Königin getan hätte. Als jene aber selbst erschien, war sie kurz und entgegen aller Gewohnheit sprachlos.
Die Königin verließ nur dann ihre Gemächer, wenn es sich nicht vermeiden ließ, wenn ein Anlass es erforderte oder Chlodwig es verlangte – nicht von sich aus.
»Komm mit! Begleite mich!«, befahl Bathildis knapp und ging so hastig an ihr vorbei, als hätte sie nicht über Jahre nur gestanden.
»Wohin?«, fragte Gertrude erstaunt.
Die Antworte, die Bathildis ihr in knappen Worten beschied, überraschte sie noch mehr.
XIX. Kapitel
Der König blickte kaum auf, als Bathildis sein Gemach betrat, obgleich er unmerklich zusammenzuckte. Wie erwartet war er mit Essen beschäftigt, lustlos und langsam wie eh und je, vor sich eine Mauer aus Schüsseln, in denen gekochter Spargel dampfte, der hernach in Honig geröstet worden war, und mit Pilzen gefüllter Schwanenhals.
Sie hatte nicht mit seinem Schweigen gerechnet, rieb ihre Hände aneinander, dem unbändigen Wunsch widerstehend, sie sogleich zu waschen – kaum war der Blick auf seine fettigen Finger gefallen. Seit der Geburt des zweiten Sohnes hatte er sie nur selten berührt; auch zuvor war ihr Beisammensein nie wieder so stürmisch und gewalttätig ausgefallen wie in der ersten Nacht.
Sie schüttelte sich unwillkürlich, als würden sie – um Jahre verspätet – Unbehagen und Ekel anfallen, die sie zuvor gar nicht erst hatte aufsteigen lassen.
»Ich... ich bin zu dir gekommen, mein Gemahl«, sagte sie gedankenlos, um die bleierne Stille zu durchbrechen.
Wieder sah er nur kurz auf – und wieder senkte sich sein Blick schnell; er blinzelte.
»Das sehe ich«, sagte er kurz angebunden.
Vorsichtig trat sie näher. Sie starrte ihm das erste Mal seit Jahren ins Antlitz – nicht flüchtig, sondern lange genug, um die Spuren der Veränderung wahrzunehmen. Die Wangen warendicker geworden – so wie der übrige Leib; die Haut, die sich darüber spannte, war jedoch nicht rosig und drall, wie es bei anderen Säufern und Fressern oft der Fall war, sondern grau.
»Ich bin zu dir gekommen«, wiederholte sie,»... und du hörst nicht auf zu essen?«
»Sollte ich?«
Ein höhnisches, böses Lächeln erschien auf seinem Gesicht, seine Lippen so dünn wie ein gespannter Faden.
Unschlüssig rieb sie weiterhin die Hände aneinander. Es hieß, dass er nicht nur beim Essen maßlos wäre. Es hieß, dass er sich mit Frauen aus dem Gesinde vergnügte.
Gertrude hatte mehr als einmal darüber gesprochen, obwohl Bathildis sich stets hoheitsvoll weigerte, tiefer in diesem Gerücht zu bohren. Gut möglich, dass es wahr war – wahrscheinlich führte Ebroin ihm die Frauen zu, um ihn bei Laune zu halten. Unvermutet fiel ihr eine Begegnung mit einer der Mägde ein. Damals hatte sie dieser nicht viel Beachtung gezollt, doch jetzt kam ihr in den Sinn, dass sich jene unbotmäßig frech verhalten hatte. Ohne auf die Königin zu achten, hatte sie mit einer anderen darüber geredet, wie man einen Mann verführen könnte, dass ein Fisch beispielsweise, der auf die weibliche Scham gelegt worden war, oder ein auf dem entblößten Gesäß gekneteter Teig alle Liebestränke ersetzen konnten – wurde denn beides unter die Mahlzeit geschummelt.
Nun, vielleicht hatte jene Magd nur einen Bauern im Sinn – und nicht den König, und vielleicht sprach sie nur darum so dreist, weil die Königin ohnehin niemals zuzuhören schien.
»Also gut«, setzte Chlodwig in jenem Augenblick an, da sie selbst erneut das Schweigen brechen wollte, »du bist also zu mir gekommen. Meines Wissens gehst du diesen Weg zum ersten Mal... zum ersten Mal aus freien Stücken.«
Sie wusste nicht, ob er Bestätigung erwartete oder Widerspruch.
»Ich bitte dich«, murmelte sie und beließ es diesmal nicht beieiner Frage, sondern setzte den Befehl hinzu: »Hör auf zu essen!«
»Wovon soll ich sonst satt werden – von dir? Wärst du ein Stück Fleisch, mir würden bei solch zähem Bissen die Zähne ausfallen.«
Fast war sie geneigt, zur grimmigen Erwiderung anzusetzen. Dass niemand ihn dazu zwang, sie hierzubehalten. Dass sie nichts dagegen hätte, würde er sie verstoßen – und ihr solcherart die Freiheit schenken.
»Vergib mir«, murmelte sie stattdessen, »vergib mir, dass ich bin, wie ich bin.«
Ein drittes Mal blickte er hoch, diesmal, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Der boshafte Zug um den Mund verschwand, auch das höhnische Blitzen aus den Augen. Unergründlich
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