Die Regentin (German Edition)
und die Jüngeren erkennen noch zu deinen Lebzeiten den Ältesten als einzigen König an. Ja, viel besser wär’s, schon heute stünde fest, dass nur Chlothar König wird und die anderen beiden – ohne schwere Last des Amtes – ein geruhsames Leben haben. Dann wäre der Friede des Landes...«
»Der Friede des Landes wäre vor allem dann gesichert«, fiel Ebroin ihr ins Wort, »wenn endlich Erchinoalds Nachfolge geklärt wäre. Du musst endlich eine Entscheidung treffen, mein König! Du musst einen Namen nennen!«
»Ach ja?«, zischte Bathildis. »Irgendeinen Namen? Sollte es nicht dein Name sein, Ebroin? Darum geht es dir – nicht um das Land, nicht um den Frieden, sondern um dich und deine Macht!«
»An Macht zu denken käme dir ja niemals in den Sinn, Königin! Ein herzensguter Mensch wie du denkt schließlich immer nur ans allgemeine Wohl, nicht wahr?«
»Mir zumindest käme es nie in den Sinn, ein unschuldiges Kind für meine Zwecke zu missbrauchen und...«
»Aber mit einer Peitsche auf solch unschuldiges Kind einzuschlagen – das findest du richtig!«
Chlodwig hielt den Blick gesenkt. Während ihres heftigen Wortwechsels war er noch mehrmals hin und her gegangen, dann hatte er zu flackern begonnen, sich wieder auf das Essen konzentriert. Nun kaute er wahllos durcheinander wie einst, obschon er jene Gewohnheit in den letzten Monaten aufgegeben hatte.
»Still!«, murmelte er plötzlich gequält. »Still! Nicht durcheinanderreden!«
Wiewohl er leise sprach, blieb sein leidender Laut nicht ungehört – beide schwiegen sie sofort.
Bestürzt sah Bathildis zu, wie Chlodwig seine Hände auf die Schläfen presste, von altem Kopfschmerz geplagt – vielleicht auch von den Stimmen?
Sie wollte sich zu ihm neigen, um ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen, doch Ebroin war schneller. »Wie ist dir, König? Willst du dich zur Ruhe begeben? Du siehst so angestrengt aus...«, murmelte er.
Eigentlich musste sie ihm Recht geben – allein, weil der Vorschlag von ihm kam, hielt sie ihn für schlecht.
»Das hättest du wohl gerne, dass er Ruhe gibt und tut, was du sagst«, zischte sie.
Chlodwig kniff seine Augen wieder zusammen.
»Still!«, stieß er aus, und diesmal klang es wie das Knurren eines Hundes. »Still! Hört auf!«
Ebroin war ernsthaft bestürzt und folgte seinem Befehl – Bathildis nicht.
»Du... du brauchst nicht Ruhe, du brauchst vielleicht Abwechslung«, sagte sie schnell. »Es wird Herbst – ist das nicht die beste Zeit für die Jagd?«
Chlodwig liebte es zu jagen, Ebroin nicht. Im letzten Jahr war er dabei vom Pferd gefallen, und wiewohl er sich keine ernsthaften Verletzungen zugezogen hatte, so wusste jeder bei Hofe, dass er sich fortan ähnlichen Ausflügen verweigern würde.
Ritte der König nun aber für einige Tage allein in die Wälder von Clichy, so wäre ihr unseliger Streit vorerst vertagt. Sie könnte in Ruhe nachsinnen, wie sich Ebroin ruhigstellen ließe – und gleichsam wäre dafür gesorgt, dass Chlodwig nicht länger zermürbt würde von ihrem hartnäckigen Kampf um seine Gunst.
Sie nickte bekräftigend – und zu ihrem Erstaunen ersparte sich auch Ebroin den Widerspruch.
»Erchinoald soll mich begleiten«, murmelte der König. »Er klagt so oft über Schmerzen im Rücken, vielleicht ist es in diesem Jahr das letzte Mal.«
»So sei es«, sagte Bathildis, um das letzte Wort zu haben.
Noch war das Morgengrauen nur ein fahler Schein, der Mühe hatte, durch die schweren, dunklen Flügel der Nacht zu brechen, als Chlodwig den Palast verließ. Bathildis begleitete ihn in den Hof und sah ihm nach; die frische Nachftluft klärte ihre blelerne Müdigkeit und wirbelte zugleich absonderliche Sorgen und Ängste auf wie einen Haufen trockenen Herbstlaubs.
Gestern noch hatte sie es für richtig befunden, Chlodwig diese Erholung zu gönnen. Heute fühlte sie sich plötzlich unendlich verloren, als sie ihm nachsah, nicht nur allein gelassen, sondern aufgegeben, gleich so, als würde sie unwiederbringlich das verlieren, von dem sie bislang gar nicht richtig wusste, dass er es ihr geschenkt hatte: Sicherheit, Geborgenheit, Rückhalt. Sie begriff nicht, warum jenes Gefühl der Verlassenheit in ihr wütete,selbst in den Tiefen ihres Gedächtnisses, und dass es gegen allen Widerstand die Erinnerung an jenen Morgen heraufbeschwor, da sie von Aidan weggeholt wurde.
Sie schüttelte den Kopf. Ich sehe ihn doch bald wieder, dachte sie und suchte das dumpfe Unbehagen zu unterdrücken.
Nachdem
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