Die Regentin (German Edition)
Bescheidenheit!«
Bathildis nickte und gab sich zerknirscht. Soll sie mich doch in Ruhe lassen, diese Ziege!, dachte sie im Stillen.
Godiva hatte anderes vor. »Du warst nicht fähig, sämtliche Tugenden zu benennen. So heb deine Hände... dann wirst du sie niemals wieder vergessen.«
Offenbar wollte Godiva ihr mit dem Hanfseil ein paar Striemen schlagen, eine Strafe, die Bathildis früher manchmal hatte über sich ergehen lassen und die doch niemals so ungerecht gewesen war wie heute. Lässt mich die Tugenden aufzählen und glühst selbst vor Rachsucht!, ging es ihr bitter durch den Kopf.
»Nun mach schon!«, befahl Godiva.
Bathildis hielt den Blick demütig gesenkt, doch ihre Lippen öffneten sich kaum merklich und pressten hervor: »Du schlägst mich nicht.«
Wiewohl leise gesprochen, hatten es alle gehört. Hereswith hielt den Atem an.
»Was redest du da?«, rief Godiva erbost.
Bathildis hob vorsichtig den Blick. »Du schlägst mich nicht!«, wiederholte sie.
Godiva japste nach Luft. »Wie kannst du es wagen, mich...«
»Wenn es mich nicht gäbe«, unterbrach Bathildis sie trotzig,»dann hätten uns die Männer, die aus dem Norden kamen, schlafend im Dormitorium vorgefunden. Wir hätten weder fliehen können noch uns vor ihnen verstecken!«
Godivas längliches Ziegengesicht färbte sich rot. »Wie konntest du überhaupt wagen, den Schlafsaal zu verlassen – mitten in der Nacht?«
»Ich habe sie nicht nur entdeckt; ich habe auch vorgeschlagen, dass wir uns im Taubenturm verstecken. Gott allein weiß, was sie mit uns getan hätten, hätten sie uns gefunden! Vielleicht hätten sie uns auf ihre Schiffe verschleppt und geschändet und ermordet...«
Bathildis hörte, dass Hereswith, die nicht weit von ihr hockte, vor lauter Schreck über diese Frechheit zu heulen begann, doch sie dachte nicht daran, darauf Rücksicht zu nehmen. Sie straffte ihren Rücken noch mehr. In jenen schrecklichen Stunden war ihre Macht, das Richtige zu tun, stets von Furcht geknebelt gewesen; jetzt war sie davon gänzlich frei.
»Ich habe uns alle gerettet«, fuhr sie fort, »auch dich, Godiva.«
Die andere hob die Hand, schlug wahllos nieder, traf sie dumpf auf der Brust. Dann hob sie auch die zweite Hand, ließ sie diesmal auf Bathildis’ Kopf niedersausen und riss ihr schmerzhaft an den Haaren.
»Was glaubst du, wer du bist, du dummes Mädchen?«
»Ich bin die Tochter von Fürst Thorgil!«, wehrte sich Bathildis, wiewohl der spitze Schmerz ihr manch Tränen aus den Augen presste.
Wieder der Vater. Mühelos erstand er aus den Nebeln, die ihn sonst umgaben. Er sprach ihr zu, er ermutigte sie, sich das Gebaren der anderen nicht gefallen zu lassen.
»O, dein Vater!«, lästerte Godiva. »Man sagt, dass die Frau, die ihn geboren hatte, ein Leben lang eine Heidin geblieben wäre. Acha war ihr Name. Hast du von ihr die Boshaftigkeit und den Ungehorsam gelernt?«
Sie riss nicht länger an Bathildis’ Haaren, sondern drückte mit aller Macht den Kopf zu Boden, sodass jene vor ihr zu knien kam. Bathildis hatte sich zu wehren gewusst – doch als der Name ihrer Großmutter fiel, hielt sie kurz still.
Sie kannte ihn nicht – keiner hatte jemals mit ihr darüber gesprochen. Sie kannte nur den Namen ihrer Mutter Estrith, die lange tot war, den ihres Vaters und den ihres Verlobten. Mehr wusste sie nicht von der Sippe, aus der sie hervorging.
»Wage nicht, mich zu züchtigen!«, rief sie dennoch. »Mein Vater wird...«
Godiva hob das Bein und stieß ihr damit in den Leib. »Dein Vater will, dass wir dich hier zu einer rechtschaffenen Frau erziehen! Also füge dich endlich deiner Strafe und denk nicht einmal daran, je wieder deine Stimme gegen mich zu erheben!«
Ein zweites Mal trat sie zu, diesmal mitten in ihren Leib, sodass Bathildis sich krümmte. Sie konnte nicht widersprechen, weil sie würgen musste, und es blieb auch keine Gelegenheit mehr, denn just als sie wieder schnaufend zu Kräften kam und gegen Godiva ankämpfen wollte, erschien die Äbtissin Eadhild im Raum.
Ihre fettigen Haare waren unter dem Schleier verborgen; das Gesicht deuchte – ganz anders als in der schrecklichen Nacht – würdevoll und alterslos.
»Was geht hier vor?«, fragte sie streng.
Als Strafe für Bathildis’ unbotmäßiges Verhalten wurde festgelegt, dass sie drei Tage lang nur Wasser zu trinken bekäme und ein einziges Stück Brot, dass sie mehr Zeit als die anderen im Gebet zubringen müsste und dass sie mit niemandem reden dürfte.
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