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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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der sie von der Zerrissenheit befreite, entweder zu viel Tatkraft in sich zu spüren oder aber nur Leere, nie aber ein rechtes Mittelmaß.
    Am dritten Tage schließlich, den ihre Strafe währte, ward sie kurz von dem quälenden Schweigen befreit. Die scheue Freundin Hereswith nützte die Zeit, die sie beim Spinnen zubrachten, um Bathildis heimlich ein Stück Brot zuzustecken. Nie hatte Bathildis solchen Mut an ihr erlebt – und mehr noch als von der Aussicht auf ein paar sättigende Bissen war sie ob dieses Treuebeweises ergriffen.
    »Du traust dich...«
    Rasch hob Hereswith den Finger an ihre Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. Doch nachdem sie über ihre Schultern geblickt und gewahrt hatte, dass niemand sie beobachtete, so wagte sie schließlich zu fragen: »Du bist so versunken, Bathildis. An wen denkst du?«
    Sie sprach so leise, dass Bathildis sie kaum verstand. Hereswith musste ihre Frage wiederholen, indessen Bathildis, die in der linken Hand die Spindel hielt, langsam ein kleines Stück aus der Schafschur zog, daraus einen Faden formte, indem sie ihn mit Daumen und Zeigefinger zwirbelte, und ihn schließlich glättete, indem sie ihn mit den Lippen befeuchtete.
    Kurz zögerte sie zu antworten, als hätte sie ein Geheimnis zu bewahren. Doch das Gesicht von Hereswith war so neugierig auf sie gerichtet, dass sie nicht an sich halten konnte.
    »An meinen Vater«, erwiderte sie und vergaß beinahe zu flüstern. »Ich habe ihn seit dreizehn Jahren nicht gesehen. Dochkurz vor dem Überfall... schickte er einen Boten, um sein Kommen anzukündigen. Er wird mich heimholen... Und dann werde ich Ricberts Sohn Aidan zum Gatten nehmen.«
    Hereswith erschauerte. Allein von Männern zu sprechen, die keine Mönche waren, brachte sie zum Beben – nach dem schrecklichen Überfall noch mehr als je zuvor.
    »Wie kommt es, dass du dich derart freust?«
    Bathildis zuckte mit den Schultern. »Als kleines Mädchen...«, setzte sie an, wiewohl sie sich nicht sicher war, ob jenes unscharfe Bild tatsächlich von ihrem Gedächtnis ausgespuckt ward und nicht nur vom Wunsch, es möge so gewesen sein. »Als kleines Mädchen bin ich manchmal auf den Knien meines Vaters gehockt; er hat mich ganz fest gehalten...«
    Hereswith erschauerte noch mehr. Noch unerträglicher, als an Männer zu denken, war, sich deren Berührung vorzustellen.
    »Willst du«, fragte sie, »willst du denn nicht viel lieber im Kloster bleiben, so wie es mir bestimmt ist?«
    Sie riss die Augen weit auf und ließ sehr viel von dem Weißen um den braun gefärbten Pupillenrand sehen. Eigentlich war der Augapfel nicht weiß, sondern gelb verfärbt. Wann immer Bathildis Hereswith in die Augen starrte, konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, deren Augen seien schmutzig, wenngleich doch die Farbe des restlichen Gesichts frisch gewaschenem Linnen glich. Auch jetzt wurde Hereswith weiß und weißer, und die Lippen wurden seltsam blau.
    »O nein!«, rief Bathildis entschlossen aus, von der raunzenden Stimme noch mehr zum Widerwort angestachelt als von den eigentlichen Worten. »Ich freue mich auf den Vater... ich freue mich so sehr auf ihn. Und auf meine Heimat, die ich als Kind verlassen musste!«
    Diesmal verzichtete Hereswith auf ein ängstliches Zusammenzucken; stattdessen musste Bathildis frösteln. Es galt nicht dem Vater, sie erschauerte, weil sie nicht wusste, wohin er sie bringen würde, wo sie mit dem Bräutigam leben sollte. So sehr siesich nach einer Zukunft außerhalb des Klosters sehnte – sie kannte doch keine anderen Räume als jene steinernen hier. Wann immer sie sich vorstellte, sie treffe mit Thorgil zusammen, so geschah es in einem Land, das weit war – und leer. Es gab nichts Vertrautes darin. Sie hatte von den Langhäusern gehört, von der Art, wie sie gebaut waren, von Dörfern, zu denen sie sich zusammenschlossen, und von den kunstvollen Holzschnitzereien, die das Heim des jeweiligen Fürsten verrieten. Aber es gab kein Bild dazu. Noch schrecklicher war die Vorstellung von Städten, wo nicht nur große Sippen zusammenlebten, sondern derer viele – was hieß, dass sie die einzelnen Gesichter niemals so gut kennen würde wie all jene der Nonnen, dass sie fortwährend mit Fremden zusammenstoßen würde. Und Fremde – waren sie nicht gefährlich, so unheilverkündend und bedrohlich wie die nächtlichen Angreifer vor einigen Tagen? Und wie sollte ihr Vater sie vor den fremden Anblicken bewahren, wenn er doch selbst solchen bot?
    Hereswith

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