Die Regentin (German Edition)
behaupteten, Britannien sei ihres, weil sie schon viele Jahrhundertelänger hier lebten als die Römer. Letztere waren später auf die Insel gekommen, desgleichen wie die Angeln und Sachsen, die nicht minder mordend und brandschatzend hier eingefallen waren, jedoch auch den christlichen Glauben gebracht hatten. Freilich nicht für alle. Es hieß, dass sich die Allerschlimmsten dieser Heiden bis heute das Gesicht mit blauer Farbe anmalten.
Ob Aidan davon wusste?
»Es ist so«, begann er zu erzählen, und seine Stimme klang ein wenig, als gäbe er ein Gerücht wieder und habe nicht selbst erlebt, wovon er erzählte, »dass es in Northumbrien schreckliche Kriege gab. Sei froh, dass du im Kloster lebtest! Ich wurde anfangs auch im Kloster erzogen, so wie alle Knaben, deren Väter reich und mächtig sind. Doch als ich zehn Jahre alt war, meinte mein Vater, es sei genug damit... in einem Land wie diesem ist es besser, das Kämpfen zu beherrschen als das Lesen.«
Bathildis erschauderte. Sie konnte sich vorstellen, was Kriege verhießen, seitdem die fremden Männer das Kloster heimgesucht hatten und sie den Vater kennen gelernt. Trotzdem fasste sie den Mut nachzufragen: »Kriege zwischen wem?«
Aidan rutschte wieder im Sattel auf und nieder. »König Edwin von Northumbrien, der im Jahr regierte, als du und ich geboren wurden, ist nur wenige Monate später gegen Penda gefallen«, setzte er raunend an, weil es vielleicht besser war, über solche Dinge nicht laut zu sprechen, »Penda ist fürchterlich! Er kommt aus dem Norden, betet zu den heidnischen Göttern, und man sagt, dass er nach der Schlacht die Gefallenen verstümmeln lässt und dass er deren Blut säuft, dass seine Lippen folglich stets rot verschmiert wären, und dass...«
»Das ist nicht wahr!«, rief Bathildis mit weit aufgerissenen Augen.
Aidan lächelte – ein wenig stolz, dass er in ihr diese Furcht nähren konnte.
»Wohl ist es wahr!«, fuhr er hörbar selbstbewusster fort.»Northumbrien ist hernach zerfallen, in viele kleine Länder, und erst König Oswald konnte es vereinigen! Doch dann kam Penda erneut und hat wieder...«
Er kam nicht weiter. Schon zuckte er zusammen, als hätte man ihm im Nacken einen Schlag versetzt, denn eben kam sein Vater Ricbert an seine Seite geritten und schnalzte wütend mit der Zunge.
»Maul halten!«, zischte er. »Oh, wärst du nur mit deinem Schwert so flink wie mit deiner Zunge.«
Sprach’s, hieb dem Pferd in die Flanken und schloss nach vorne auf. Aidan saß erstarrt im Sattel.
Wenn er sich noch mehr krümmt, dachte Bathildis, so wird er unweigerlich vom Pferd fallen.
Freilich erzeugte sein Anblick in ihr auch Mitleid. Sie wollte ihm danken, dass er bereit war, mit ihr zu reden, wiewohl es ihm die scharfe Mahnung eingebracht hatte.
»Unsere Väter«, setzte sie an, lächelte vorsichtig und fühlte sich wärmer und sicherer als während der letzten Tage, »unsere Väter scheinen sich zu gleichen.«
Später setzten sie das Gespräch fort.
Es war Abend geworden, Thorgil und Ricbert hatten an einer Lichtung die Rast beschlossen. Während mit dem Zunder des Feuersteins ein paar Bündel Reisig entfacht wurden, gab Thorgil seiner Tochter wortlos und ohne ihr ins Gesicht zu sehen einen Lederbeutel mit getrocknetem Fleisch und gedörrtem Fisch. Beides schmeckte wie feuchtes Leder und ließ sich ebenso wenig beißen.
Bathildis kaute mühsam, als Aidan zu ihr geschlichen kam, sich etwas verlegen an ihre Seite hockte und dann unauffällig ihre Hand ergriff. Fragend blickte sie ihn an, bis sie gewahrte, dass seine weibischen Finger ihr Beeren überreichten.
»Hab ich für dich gepflückt«, murmelte er verlegen, und sein rosiges Gesicht verdunkelte sich ob seiner Scham.
»Hab Dank«, gab Bathildis aufrichtig zurück. Die Beeren waren sauer, weil noch nicht ausreichend gereift, und entzogen dem Mund alsbald sämtlichen Speichel, doch der Geschmack – so viel kräftiger als das öde Fleisch – belebte ihren vom Reiten dumpfen Kopf, und die Fürsorglichkeit, die seine Geste verriet, rührte sie. Als sie seine Hand drückte, dachte sie gar nicht daran, wie weibisch seine Finger waren.
»Sag«, drängte sie, während er furchtsam Ausschau hielt, ob ihn denn sein Vater unnütz plauschend entdecken könnte. »Sag... warum mögen die Männer das Reden nicht?«
»Ich mag’s... und bin doch auch ein Mann.«
Sie lächelte mild; der Spott lag ihr auf den Lippen. Doch jene Verachtung, die sie für sein Erröten hegte, deuchte
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